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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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seines eigenen Lebens.
    Eine mathematisch im Millisekundentakt messbare Volatilität ist kein Merkmal von Börsen mehr, sondern von menschlicher Identität.
    Vom Menschen wird in einer im Wortsinne perversen Übertragung ökonomischer Krisenverursachung erwartet, dass er das tut, was die Börsenplätze der Welt ihm vormachen: Er muss in sich »selbst investieren« und enorme Risiken eingehen und, zur Not, Crashs und Schocks künstlich in seinen Lebenslauf einbauen.
    Wie soll man so ein Leben leben?
    Als Standardmodul, als »default setting«, empfiehlt die neue Elite, »Ja« zu sagen: »Was würde passieren, wenn du ›Ja‹ einen Tag lang standardisieren würdest? Eine ganze Woche? Ja!, was auch immer geschieht.« Denn die Drohung ist klar: »Wenn du keine Risiken findest, finden sie dich.« 228

28 Reengineering
    Der zerlegte Mensch ist eine Goldmine
    J a, du bist etwas anderes als ein Online-Schuhversand. Aber du verkaufst dein Gehirn, dein Talent und deine Energie. Und du tust es inmitten eines gewaltigen Wettbewerbs.« Das ist das Mantra Reid Hoffmans, und es kann kein Zweifel bestehen, dass er die Doktrin des neuen Informationskapitalismus ausspricht.
    Menschen, heißt das, werden künftig in einer neuen Arbeitsteilung leben: sie werden zu den Arbeitern, Angestellten und Unternehmern ihrer eigenen Seelenfabrik. Sie sind umgeben von Menschen, die genau das Gleiche wollen, die genauso twittern, facebooken, bloggen, fotografieren, arbeiten wie man selbst.
    Angesichts dieser sich börsenähnlich ständig wandelnden Informationen, die alle auf einem volatilen Arbeitsmarkt ausgewertet werden können, ist die einzige Überlebensstrategie die, die Nummer 2 empfiehlt: Man muss alle anderen auf ihren Egoismus reduzieren, auf einen Bluff, auf einen Plan, den sie verschweigen und mit dem sie das Spiel des Lebens gewinnen wollen.
    Wer die aktuelle Kommunikation im Netz kennt, ihre Hassbereitschaft und ihre Unterstellungsfreude, wird feststellen, dass dieses Spiel bereits gespielt wird.
    Im Informationskapitalismus übernimmt das Ich nun sowohl die Rolle des despotischen Fabrikbesitzers als auch die seiner Arbeiter und sogar seiner Produktionsmittel. Das Material, mit dem es produziert, besteht aus Informationen. Sie sind das Gold der Gegenwart. Aber – als wäre der Albtraum von Soddys Zeitgenossen wahr geworden – ein Gold, das im Überfluss vorhanden ist. Erstaunlicherweise mindert das nicht seinen Wert, sondern steigert ihn.
    Jahrtausendelang sind Menschen gedankenlos an gewaltigen Mengen von düsteren, übel riechenden oder nutzlosen Stoffen vorbeigegangen. Erst versuchten sie erfolglos, die unattraktiven Materialien in Gold zu verwandeln. Später hatten sie gelernt, wozu man Kohle oder Erdöl verwenden konnte, dass es sich um Rohstoffe handelte.
    Der amerikanische Physiknobelpreisträger Arno Penzias hat das mit einem schönen Witz erklärt: »Wenn ich süße, braune Gelatine auf Ihrer Krawatte sehe, ist es Schmutz. Aber wenn ich denselben Schmutz auf einen Teller lege, ist es Schokoladenpudding. Daten sind wie Schmutz, aber wenn Sie sie einmal an ihren richtigen Ort bringen und eine Ordnung herstellen, wird es Wissen.« 229
    Nicht nur jedes Ereignis im Leben eines Menschen wird Information, sondern auch der Tausch dieser Ereignisse mit unendlich vielen anderen, die digital aufgezeichnet werden. Nicht nur der Fleck auf der Krawatte, auch die Handbewegung, die ihn zu entfernen versucht, die Geschwindigkeit, mit der Sie sie in die Reinigung bringen, die Häufigkeit, mit der die Krawatte wieder befleckt wird, die Art des Flecks, die Anlässe, zu der die Krawatte getragen wird – all das sind potenziell längst auswertbare und verkäufliche Informationen. Und das ist nur aus der Perspektive einer einzigen Krawatte gesprochen: Was, wenn es unzählige Krawattenträger sind, die Kellner im Lokal, das Personal im Flugzeug, die Hersteller des Schokoladenpuddings und der Krawatte selbst?
    Zwar ahnen heute immer mehr Menschen, dass sie mit Fotos oder Kommentaren in soziale Netzwerke hineingezogen werden können, die sie selbst nie betreten haben, weil es eine Datenverbreitung durch Dritte gibt, auf deren Fotos sie zufällig zu sehen sind. Doch was für Fotos gilt, gilt für jede Form der Information. »Wenn ich meine genetischen Daten weitergebe«, sagt eine Informatikerin, die sich bei Microsoft mit »Big Data« befasst, »gebe ich auch Daten meines Bruders, meiner Mutter, meiner künftigen Kinder weiter. Die große Frage

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