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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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wird sein: Wem gehört die E-Mail-Kette zwischen dir und mir?« 230
    Längst ist klar, dass dies alles auch für die Arbeitswelt gilt. Jeder Handgriff, jede Bewegung, jedes Nicken des Kopfes produziert ein Wissen, von dessen Auslegung man selbst nichts ahnt; jeder Gedanke, jeder Satz, jede E-Mail produziert ein Narrativ, das man erst begreift, wenn es einem wie von einem Untersuchungsrichter als Geschichte des eigenen Tuns und Handelns präsentiert wird. Dann werden Krankheitstage mit Codes für Gefühle, Bewegung und bald auch Blicke, Körpersprache und Mimik verbunden – denn Googles letzte Erfindung, die Datenbrille Google Glass, wird Apps anziehen, die die Authentizität des Lächelns und die Botschaft der Körpersprache entziffern.
    In den Datenstrom münden mittlerweile auch Erkenntnisse, die aus Hirnscans gewonnen werden und mit denen Firmen wie Lucid Systems die »unausgesprochene Wahrheit« ermitteln wollen. Damit aber wird auch eine andere Grenze der Materie zerstört: die Vergangenheit.
    Jedermann würde sagen, dass das, was war, geschehen sein muss, sonst gäbe es keine Häuser, Tempel, Kunstwerke, Bücher, Städte oder Länder. Jetzt aber geht es darum, warum Dinge so geschehen sind, wie sie geschahen, und wie sie hätten noch anders geschehen können.
    »Von einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus müssen wir, um zu prognostizieren, was in der Zukunft passieren könnte, nicht nur wissen, was in der Vergangenheit passiert ist, sondern was hätte passieren können.« 231
    Bei Aktienanalysen weiß jeder, was gemeint ist, wenn er an Wertentwicklungen in der Vergangenheit denkt, die auf die Zukunft hochgerechnet werden. Im Augenblick werden solche Analysen aber bereits in kleinem Format auf das menschliche Erleben angewandt – etwa bei der Untersuchung von Finanzbetrug in Unternehmen der Wall Street – und womöglich bereits von den Personalbüros großer Unternehmen.
    Was die Akkumulation von »Big Data« angeht, sind wir, wie der Google-Ingenieur Martin Wattenberg sagt, noch im vorindustriellen Zeitalter. 232 Solche »Transaktionsdaten«, das heißt die Ergebnisse der Kommunikation zwischen Menschen und Dingen und Menschen und Menschen, werden in riesigen Supermärkten gelagert, und wer genau hinsieht, erkennt, dass es Hände, Arme und Beine, Bewegungen und Gedankenströme sind, die dort darauf warten, in Geld verwandelt zu werden. Es sind die Automatenpuppen, die in Merlins Museum die isolierten Bewegungen ihrer Arme, Hände und Augenlider demonstrierten.
    Firmen wie das amerikanische ClearStory bieten solche Informationen jetzt in jedem beliebigen Zuschnitt an, indem sie öffentlich zugängliche Daten mit solchen kombinieren, die ihnen Firmen zur Verfügung stellen. »An welchem Platz soll McDonald’s welche Menschen wie füttern?«, lautet eine der harmloseren Fragestellungen.
    »Wir machen Daten konsumierbar«, sagte die Vorstandsvorsitzende Shahani-Mulligan in einem Gespräch mit der »New York Times«. Man darf sich von dem langweiligen Wort »Daten« nicht sedieren lassen. Gemeint ist: Wir transmutieren menschliche Gedanken und Mikro-Handlungen in konsumierbare Stoffe. Worum es sich bei dem transmutierten Seelenstoff handelt, macht die Unternehmenschefin Mulligan auch deutlich: Es ist »Gold, das seit 30 Jahren in Datenbanken weggeschlossen wurde«. 233
    Es stimmt, was Earl Shorris einst schrieb, dies ist das Informationszeitalter, aber Information ist nicht der Vorgänger des Wissens, sondern sie ist das Werkzeug des Verkäufers. 234 Wenn im neuen Weltbild, um einen erfolgreichen Buchtitel zu zitieren, das ganze Universum ein Computer ist, der nichts anderes tut, als Informationen zu verarbeiten, dann verschmelzen Mikro- und Makrokosmos wie noch niemals seit den Zeiten des magischen Denkens.
    Es ist nicht wahr, dass nur zählt, was Geld ist, sondern: Alles ist Geld. Buchstäblich. Von den einzelnen Sequenzen des genetischen Codes über die gedanklichen Assoziationen, alle Formen der Bewegung in Raum und Zeit. Es gibt in dieser Welt keine strukturelle Notwendigkeit mehr für klassische Arbeiter, aber auch nicht für einen Großteil der geistigen Arbeit. Arbeitsmärkte entstehen für die Analytiker, die die Informationen über Informationen auswerten, sei es an der Wall Street oder im Unternehmen.
    Menschen sind keine Zahnräder mehr in diesem Automaten, sie sind sein Produkt. »Das naive Vorurteil«, schreibt ein Mathematiker des MIT , »dass physische Objekte ›wirklicher‹ sind als ideale

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