Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
ist eine soziale Ökonomie, die mithilfe einer sozialen Physik umgerechnet und bewertet wird.
Aber Nummer 2 kann all das in »commodities«, in Waren übersetzen, er kann Nutzenfunktionen (»utilities«) anwenden und bestimmen, wie und in welchem Umfang in digitalen Kommunikationen das Nash-Gleichgewicht erreicht wurde. Er spielt Kalter Krieg, immer und ewig und mit dem gleichen Effekt: »Das digitale Du«, so lautet die Erfahrung von Elizabeth Charnock, »wird also mit viel größerer Wahrscheinlichkeit beim Lügen, Betrügen und Stehlen am Arbeitsplatz erwischt, als das wirkliche Du.«
Es ist sinnvoll, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Elizabeth Charnocks »Cataphora« mit diesen Instrumenten wirklichen Betrug, wirkliche Lügen, auch in großen finanzökonomischen Skandalen, aufgedeckt hat. Ihre Offenheit ist in gewisser Weise gegenrevolutionär und verdient großen Respekt, denn sie zeigt, wie die Systeme prinzipiell ticken: bei jedem und jeder, auf den sie angewendet werden.
Wenn Cataphora ermittelt, erhält der Mitarbeiter vom Staatsanwalt einen »Freeze«-Brief, der jede weitere digitale Kommuni kation, Löschung oder Veränderung von Inhalten untersagt. Aber längst ist klar, dass die gleichen Operationen auch am lebenden Objekt vorgenommen werden, in Echtzeit und ohne Pause.
»Was weiß er, was ich nicht weiß?«, war die Frage eines Traders an seinen Computer, der wir in einem früheren Kapitel begegnet sind. In spieltheoretischen Umgebungen im Pentagon und an der Börse beginnt nach Analyse der Informationen, die man von einem Gegenüber hat, das man so wenig kennt, wie Elizabeth Charnock ihre »Ziele«, das »verdeckte Spiel« – das große Manöver, in dem die Dinge nicht mehr bedeuten, was sie bedeuten, sondern nur noch dazu da sind, Signale zu senden, die bestimmte, vom Signalgeber erwünschte, Spielzüge provozieren. So auch hier:
»Die Tatsache, dass das Porträt (des Menschen) mit ausgefeilten Computerprogrammen gemalt wird, gibt dem Ganzen die Imprimatur der Objektivität. Die Anwälte und Staatsanwälte, mit denen wir zusammenarbeiten, benutzen unsere verschieden computergenerierten archäologischen Untersuchungen und persönlichen Porträts in Verhören … und sogar in Gerichtsverfahren. Wichtige Zeugen und Verdächtige in großen Gerichtsverfahren erwarten bestimmte Fragen, die für den Fall relevant sind. Ihr Anwalt wird sie darauf vorbereiten. Was sie nicht erwarten, sind Fragen, die sie aus dem Gleichgewicht bringen, zum Beispiel, warum sie bestimmte Angewohnheiten in letzter Zeit geändert haben. Mit anderen Worten, in einem Produkthaftungsprozess ist die Frage ›Wann haben Sie zum ersten Mal vermutet, dass das Produkt fehlerhaft sein könnte?‹ entscheidend. Aber eine Frage wie ›Warum haben Sie aufgehört, mit James freitags zum Essen zu gehen?‹ verblüfft den Zeugen der Gegenseite und versetzt ihn in eine solche Verwirrung, dass es unser Klient im Kreuzverhör nutzt.«
In der »Ökonomie des Geistes« hat niemand Zeit, darauf zu warten, dass jemand Fehler macht. Fehler sind bereits Eingriffe in die Wirklichkeit. Ihr Spiegelbild im digitalen Selbst sind »Wider sprüche«. Und um nichts kümmert sich der Code so hingebungsvoll, wie darum, diese zu entdecken und sichtbar zu machen.
In der Welt des 20. Jahrhunderts sind viele unserer Widersprüche untergegangen, unbemerkt von uns und unserer Umgebung. In der Informations-Ökologie des 21. Jahrhunderts sind Widersprüche nicht nur verzeichnet, sie sind schlicht unvermeidlich. In einem System des reinen Geistes, in dem Gedanken durch Berührung übertragen werden, werden sie zwangsläufig zu Handlungen und Regelverstößen.
Man unterschätzt die Analytik, wenn man glaubt, bei Wider sprüchen handele es sich nur um gedankliche Unvereinbarkeiten. Die Software analysiert nicht nur Vokabular, Satzbau, sondern auch Emotionen, die im Widerspruch zu Handlungen stehen, sogar auf einer Zeitachse, die das Ausmaß der guten oder schlechten Stimmung angeben.
Was einer getan hat, was einer tut, was einer tun wird: Die Zerlegung des Menschen macht ihn als Bündel unzähliger Daten, das in der »Ökonomie des Geistes« keinen Körper und keine Identität mehr hat, zu nichts anderem als einer Aktie, einer Option, einem Future, kalkuliert von Nummer 2 nach einem Wert, der sich aus unterschiedlichen Auktionen zusam mensetzt. So wie die Ingenieure der Dreißigerjahre sich wiederholende Bewegungen in robotische Bewegungen übersetzten, so
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