Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
als eine automatische Einheit gedacht, »worin der Mensch nur als Beobachter handelt«. Die Anwesenheit von Arbeitern sollte nur vorübergehend sein, solange die Maschinen besonders komplexe Handgriffe noch nicht beherrschten.
1929, inmitten der Weltwirtschaftskrise, ging der amerikanischen Unternehmer L. R. Smith den naheliegenden Schritt weiter, als er eine Schrift mit dem Titel »Wir bauen eine Fabrik, die ohne Menschen arbeiten wird« publizierte. Interessant ist heute nicht Smiths Vision, die uns alltäglich vorkommt, sondern wie er auf seinen Einfall kam:
»Die Antwort lag im Unterbewussten der Ingenieure … Höchstwahrscheinlich ist es so, dass wir durch unsere tägliche Beobachtung, wie die Arbeiter immer wieder tagaus, tagein dieselben Handgriffe ausführten, veranlasst wurden, eine hundertprozentige Mechanisierung der Karosserieherstellung anzustreben.« 237
Wenn heute alle Bildungssysteme angewiesen sind, immer mehr Spezialisten auszubilden, stellt sich die Frage, ob die Spezialisten nur deshalb gebraucht werden, damit die Maschinen ihnen ihr Spezialistentum abschauen und sie schließlich ersetzen können.
»Eine menschliche Spezialisierung«, hat Hugh Kenner geschrieben, »wird sie sorgfältig genug beobachtet, ist mechanisch reproduzierbar, und wenn ein Mensch ein Spezialist geworden ist, so ist dieser Mensch selbst mechanisch reproduzierbar.« 238
Das gilt insbesondere dann, wenn der kognitive Leistungszuwachs der Computer in dem Maße steigt, wie es heute die spezialisierten Cyber-Evangelisten voraussagen. Die Tatsache, dass wir heute von den Maschinen »beobachtet« werden – ein Gedanke, auf den ein Ingenieur ja erst mal kommen muss –, hat im Bereich des Informations-Markt-Staats fast immer die gleichen drei, sich häufig überschneidenden Gründe: Im Bereich der Überwachung geht es darum, Wissen über künftiges soziales Verhalten zu erlangen, um uns zu kontrollieren; im Konsumbereich, Wissen über unser Kaufverhalten zu erlangen, um uns zu beraten (oder zu manipulieren); im Bereich der Produktion, Wissen über unser Wissen zu erlangen, um uns zu ersetzen.
Heute, im Zeitalter von »Big Data«, sind es keine menschlichen Beobachter an den Fließbändern, sondern Geräte, die wir mit uns herumtragen, die uns tracken und unsere Handlungen und Gedanken beobachten, sie auseinandernehmen, in digitalen »Lagerhallen« verwahren und je nach Bedarf für den Kunden neu zusammensetzen.
Der Unterschied zu den Fabrikhallen, die Sigfried Giedion beschrieb, liegt darin, dass moderne Technologien, die über ein Computer-Interface ausgeführt werden, nicht nur Handlungen für den Menschen ausführen, sondern jede dieser Handlungen in Information übersetzen. Sie schreiben gleichsam permanent einen Roman über das, was Menschen mit ihnen und durch sie tun. Nunmehr wird nicht mehr nur ein Knopf gedrückt, sondern gleichzeitig ein Text geschrieben.
Die moderne Sprache der Arbeit fragt: Wann? Wo? Wie lange? In welcher Stimmung? Mit wem? Wie oft? Wie schnell? Nicht nur der Arbeiter an der Maschine wird von diesem Subtext beschrieben und gelesen – wie sich mittlerweile selbst in den kritiklosesten Social-Media-Gemeinden herumgesprochen hat –, sondern jeder, der durch die digitale Maschine am Markt des Denkens und Redens beteiligt ist.
Die Erste, die auf dieses Phänomen hingewiesen hat, war Shoshana Zuboff, die Ende der Achtzigerjahre für diese Arbeitsumgebungen den Begriff des »elektronischen Textes« erfand. Seither wird nicht mehr nur die Welt der Arbeit, sondern das ganze menschliche Leben von dem elektronischen Text wie ein Schatten verfolgt.
Die wenigsten von uns kennen diesen Text. Fast alle sind wir Analphabeten mit Blick auf den Roman unseres eigenen Lebens. Geschrieben in einer Sprache, die wir nicht verstehen, verschlossen wie die Heiligen Schriften und von Deutern und Exe geten interpretiert, deren Maßstäbe wir nicht infrage stellen können.
Kein Arbeitgeber, keine »Homeland Security«, aber auch kein Google, Apple oder Amazon lassen sich da, wo es ernst wird in der angeblich transparenten Welt, wirklich in die Karten schauen. Sie sind wie Priester, die eifersüchtig über die Deutung des Wortes Gottes wachen. Dabei liegt die Macht in der Moderne darin – wie Shoshana Zuboff hellsichtig schon vor Jahrzehnten festhielt –, wer diese Texte nach welchen Regeln interpretiert.
Diese Regeln entsprechen dem, was man menschliches Controlling nennen könnte: Es geht ausschließlich um
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