Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
»wenn Google beschlossen hat, dass Sie verdächtig sind?«
Die neuen Lebensgeschichten sind keine Ich-Geschichten mehr, sondern Du-Erzählungen. Eine unübersehbare, zum Teil hoch mathematische Literatur erweckt dieses »digitale Du« zum Leben und verwandelt es in einem atemberaubenden Prozess, ohne dass man es selbst je bemerken wird, zum Mitspieler im großen Lebensspiel von Nummer 2:
Nummer 2, der analysierende Algorithmus, und das digitale Du (man selbst), Nummer 1, stehen sich gegenüber wie die USA und die Sowjetunion im Kalten Krieg. Mit dem Unterschied, dass man selbst die Spielzüge von Nummer 2 fast gar nicht analysieren kann, ja oft allenfalls ahnt, dass mit einem gespielt wird, und man deshalb in seiner Kommunikation vorsichtig ist. Doch Nummer 2 kennt die Macht der Gewohnheit und weiß, dass kein Mensch auf Dauer sein Verhalten kontrollieren kann.
Diese Algorithmen verstehen natürlich nicht, was jemand »meint«, wenn er Worte wie »traurig«, »schlecht«, »ärgerlich« benutzt; sie kennen das Gefühl nicht, das jemand hat, wenn er in seinen Mails »glücklich« ist, höhnisch lacht oder morgens grundsätzlich bestimmte E-Mails als erste beantwortet, andere dagegen vergammeln lässt. Sie verstehen auch nicht, was es »bedeutet«, wenn ein Börsenhändler, den die SEC mit ihrer Hilfe unter die Lupe nimmt, Kunden Aktien empfiehlt und eine Minute später über »deprimierende Märkte« klagt.
Sie müssen das alles nicht verstehen und befinden sich damit in völliger Übereinstimmung mit der neoklassischen Ökonomie.
Was Nummer 2 wirklich tut, wird niemanden überraschen, der seinem Werdegang bis hierher gefolgt ist: Er übersetzt Kommunikation in ein ökonomisches Modell. Unter der Oberfläche der Worte arbeitet eine Ökonomie des Gebens und Nehmens wie eine Motor, »Danke« und »Bitte«, »Ja« und »Nein«, aber in unendlich vielen Kontexten, eine Ökonomie des Profitierens und Verlierens, des Bluffs, der Bestrafung und Belohnung.
»Nachdem wir eine Weile (mit den Algorithmen) gearbeitet hatten, begannen wir zu verstehen, dass wir mehr über unsere Ziele wussten – wirklich mehr – als ihre Ehepartner und engsten Freunde. Vielleicht mehr, als sie selbst von sich wussten. Wir wussten nicht nur, ob sie glücklich oder unglücklich waren, sondern auch, was sie dazu machte und wie sie sich dann verhielten. Wir konnten die logische Konsistenz ihrer Ansichten untersuchen und feststellen, ob sie die gleichen Ansichten gegenüber verschiedenen Menschen äußerten. Wir sahen, wer die Anerkennung, die er für seine Arbeit bekam, generös teilte und wer Anerkennung für alles, außer der Erfindung des Internets, für sich einheimste.«
Wir befinden uns jetzt tief im Inneren der Maschine, und dumpf hören wir Ken Binmores Klage, dass Menschen gut dastehen wollen und entsetzt sind, wenn man sie mit egoistischen Mr. Hydes vergleicht.
Nun, die gute Nachricht für Binmore & Co. ist, dass es völlig irrelevant ist, wie Menschen sich selbst gern sehen wollen. Es ist völlig egal, ob wir Bücher über Altruismus und den Wohlfahrtsstaat schreiben; wer sich für andere einsetzt, vergessen wir das nicht, widerspricht nicht der Theorie, sondern hält konsequent an seinen eigenen Interessen fest. Die Markt-Rechenmaschine von Nummer 2 ist trainiert darin, Bluffs zu durchschauen – und seit der Equilibrium-Formel von Dr. Nash besonders dann, wenn man seinen Gegenspieler nicht kennt und nicht mit ihm reden kann.
Charnock beschreibt, wie schwierig es wäre, den »Charakter« ihrer »Ziele« wirklich zu verstehen, wenn man mit ihnen reden würde. Es geht aber, wie wir gesehen haben, in der Welt von Nummer 2 nicht um Psychologie. Es geht darum, ihr Verhalten strategisch so zu analysieren, dass man die Wege und Spielzüge ihres immerwährenden egoistischen Interesses verstehen kann.
Das klingt manchem vielleicht immer noch abstrakt – in der praktischen Arbeit eines analytischen Daten-Miners wird es ganz konkret: »Immerhin wollen Menschen als nett und vernünftig gelten – selbst die, die in Wahrheit böse und cholerisch sind … Aber wir haben einen einzigartigen Vorteil. Selten treffen wir unsere ›Ziele‹. Wir studieren stattdessen einen repräsen tativen Querschnitt ihrer elektronischen Spuren, manche reichen Jahre zurück … Für die meisten Menschen entspricht dies einer Menge von Hunderten und Tausenden von Daten-Einheiten.« 242
Menschen in Arbeitsumgebungen wollen Anerkennung, Er folg, Geld, Macht; es
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