Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
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»Wissensökonomie«, »Informations-«, und »Servicegesell schaft«, »Ich- AG «, »Exzellenzinitiativen« – das sind inflationär undefinierte Begriffe, die heute zielgerichtet in unsere Gedanken eingespeist werden. Es stimmt, dass es der Linken oft unter großen Opfern gelang, Begriffe der Freiheit, Emanzipation und des Fortschritts im 20. Jahrhundert für sich zu reklamieren – selbst dort noch, wo der Augenschein, wie im real existierenden Sozialismus, evident dagegensprach.
Aber das Kidnapping von Begriffen, denen niemand wider sprechen kann, setzt sich im 21. Jahrhundert von der anderen Seite fort. Wer wäre gegen Bildung, Lernen, Wissen? Und was ist es anderes als die »permanente Revolution«, wenn Identität so flüs sig geworden ist wie die Zahlen auf den Bildschirmen der Trader?
Es geht immer darum, wer so über ein Leben redet: man selbst oder diejenigen, die einen engagieren, bezahlen und fördern sollen. Im ersten Fall ist es Psychologie, im zweiten Fall ist es schiere Ökonomie.
An der Wall Street machten unterdessen Leute wie der Globalisierungsprophet Thomas Friedman ihren Strandspaziergang und identifizierten die lernunfähigen Verlierer. »Es sind die Schildkrö ten … die die größte Bedrohung für die Stabilität der neuen freien Hightech-Märkte in der globalisierten Welt sind, weil sie Angst haben, auf dem Informations-Highway überfahren zu werden.«
Als solche Schildkröten klassifizierte er zum Beispiel Pensionäre in Russland oder Dorfbewohner in Entwicklungsländern, die den Regenwald und überhaupt unsere knappen materiellen Ressourcen »aufessen«.
Was hätten sie auch tun sollen, hätte man früher gesagt. Aber nicht mehr in der neuen Ära: Im Zeitalter der Informations-Ökonomie ist ein unerschöpflicher Rohstoff entstanden, der es jeder Schildkröte ermöglicht, nur mit der Kraft des Geistes zur Antilope zu werden. Das Wundermittel, das das bewirken soll, ist die »Information« selbst, von Netzwerken verdaut und in jedes gewünschte Produkt umgewandelt.
Erst als die Wall-Street-Broker entdeckten, dass auch Geld in der globalisierten Welt nur eine Information ist – die, wie einer sagte, aus jedem Computer eine eigene Gelddruckmaschine machte –, entstand die explosive Mischung zwischen Geld, Geist und Investment, lange bevor die Schulen, Universitäten und Bil dungsministerien auf den Zug des »Humankapitals« aufsprangen. Es waren Investmentbanker, Ökonomen und Software-Tycoons, die nun zu Spezialisten der Seele wurden, nicht zu Analytikern, sondern zu Schamanen.
Sigmund Freud, höhnten sie, hatte die Seele mit den Metaphern des Dampfmaschinen-Zeitalters erklärt, mit »Kräften«, »Trieben« oder »Druck«. Jetzt führten sie mit Bits, mit 1 und 0, Ja und Nein, Exklusion und Inklusion, Anschalten und Abschalten ihre Zauber aus und bestritten, dass Identität etwas anderes sein könne als ständige Bewegung.
Das war in der Tat die wirkliche Geburtsstunde von TINA , There Is No Alternative. »Ich glaube nicht«, funkte Friedman von seiner kleinen Insel an die Lernunwilligen in aller Welt, »dass es in absehbarer Zeit eine alternative Ideologie geben wird. Es existiert keine.«
Im Teleskopblick der Globalisierungsideologen schrumpfen individuelle Gerechtigkeitsfragen auf die Dimension einer Schildkröte. Dass in der Krise Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, ist nicht nur ein Ereignis, das die ökonomische Vernunft jedes Einzelnen kränkt, sondern im Kern ein Angriff auf die Idee der Demokratie selbst.
Damit – so schreibt der Super-Quant Emanuel Derman, der einige der Modelle selbst geschaffen hat, die nun außer Kontrolle gerieten – sei die Verbindung zwischen Kapitalismus und Demokratie gebrochen. »Wir haben erlebt, dass Unternehmen mit der Freundlichkeit behandelt werden, die man Menschen schuldet, während Menschen … wie Dinge behandelt werden.« 245
Darum das neue Weltbild, die Privatisierung des öffentlichen Lebens, die Ökonomisierung des Privatesten.
In den Medien Amerikas und Deutschlands wurde als Revolution gefeiert, dass die »Macht«, die »generationenlang nur in der Hand von ein paar wenigen Tausend weißen Männern« lag, nun von jedem Mann und jeder Frau ergriffen werden könnte. »Es verändert nicht nur die Art, wie wir investieren«, schrieb eine der großen Wirtschaftszeitschriften, »es verändert auch die Art, wie wir leben und arbeiten werden.« 246
Aber so naturwissenschaftlich sich das Programm
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