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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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übersetzen die Codes sich wiederholende Muster in diskrete Informationspakete. Sie ermöglichen schließlich nicht nur Analysen der Vergangenheit, sondern Voraussagen über die eigene Zukunft.
    In Modellierungsverfahren, die in Arbeitsplätzen, im Konsum und bei großen, geopolitischen Veränderungen eingesetzt werden, lebt ein Mensch bereits in einer bestimmten Zukunft, die wiederum, wie bei einer Aktie, seinen Wert für die Gegenwart bestimmt, die wiederum in selbsterfüllender Prophezeiung die Zukunft modelliert.
    Das beginnt bei der genetischen Vorhersage von Krankheiten und endet beim Arbeitsplatz, der Ausbildung und dem Hauskredit. Auch dafür gibt es schon ein Spielzeug.
    Jeremy Bailenson von der Stanford Univerity nennt diese Systeme »Veja Du«: Wir sehen in Simulationen, was mit Körpern, Produkten, Menschen geschieht, die wir in die Zukunft hochrechnen.
    Das ist die große Transmutations-Maschine, die Deutschland nur deshalb noch nicht in allem antreibt, weil hier, anders als in England oder den USA , die Realwirtschaft die Rolle der bodenständigen Vernunft spielen kann.
    Doch blickt man auf die angelsächsische Welt, erkennt man, dass es in der Automatisierung menschlichen Lebens keinen gro ßen Unterschied mehr gibt zu L. R. Smiths »Fabriken ohne Menschen«, nur dass es jetzt eine Fabrik aus menschlichen Gedanken, Träumen, Hoffnungen, Lügen und Strategien geworden ist.

30 Massenwahn
    Überfluss, Reichtum für alle
und die Wissensgesellschaft
    R obinson Crusoes selbstversorgendes Mini-Wirtschaftssystem diente Ökonomen lange Zeit als Modell dafür, wie der Mensch – um Walter Kempowski zu zitieren – »tut und macht«.
    Hundert Jahre dauerte es, bis ein Leser den heute berühmten Fehler im »Robinson Crusoe« entdeckte: Robinson schwimmt nackt zum Schiff, wo er die Werkzeuge, die er zum Überleben braucht, in die Taschen seiner Kleidung füllt, die er allerdings, da nackt, gar nicht haben kann.
    Niemand weiß, warum Daniel Defoe dieser Fehler unterlaufen ist. Vielleicht war er einfach nur abgelenkt. Vielleicht war er auch ein Sadist. In einer Schatzhöhle ist ja nichts schlimmer als der Satz »Nimm mit, so viel du tragen kannst«, wenn man gar nichts tragen kann.
    Vielleicht wollte er auch nur sanft andeuten, dass die ganze Geschichte, die nicht er, sondern ein gewisser Robinson Crusoe erzählt, in Wahrheit nur in der Fantasie funktioniert.
    Es ist der Fehler, der sich heute in die Biografien der Menschen eingeschlichen hat. Heute werden wir nicht durch Worte, sondern durch Formeln und Zahlen erzählt. Jeder ist eine Art statistischer Durchschnitts-Robinson, ein ziemlich begriffsstutziger und lethargischer Schiffbrüchiger, gestrandet an den Klippen der Informationsgesellschaft und der Globalisierung.
    »Wir sind keine Insel mehr«, »Die Welt wartet nicht auf uns«, »Die Zeit von Palmen und Hängematten ist vorbei« lauten die Botschaften des Über-Autors, dessen Stimme sich aus jedem Zeitungsartikel, jeder Talkshow, jeder politisch-ökonomischen Mahnrede zusammensetzt.
    Auch Robinson folgte der Informationsökonomie seiner Zeit. Durch die Bibel, die er vom Schiff holte, vernetzte der bisher Ungläubige sich mit Gott, und was wir heute »Wissen« nennen, war für ihn »Vorsehung« (es führt zu weit, aber die Bibel, die Robinson manchmal nur auf gut Glück aufschlägt, um Antworten zu bekommen, spielt im »Crusoe« die Rolle des allwissenden Suchalgorithmus).
    Mit Kopf, Hand und Information als den wichtigsten Zivilisationswerkzeugen, so lautet heute die Behauptung, siegt jeder im kapitalistischen Dschungel. Was wir benötigen, ist im Überfluss vorhanden, wenn wir nur unseren Kopf anstrengen, ins Wasser springen und uns von der Arche Noah der Wissensgesellschaft mit Werkzeugen und Informationen versorgen. Robinson hat es auf einer einsamen Insel geschafft, und heute hat selbst ein Massai-Krieger, so einer der modernen Defoes, »der nur mit einem Handy ausgestattet ist, mehr Informationen zur Verfügung als der Präsident der USA vor fünfzehn Jahren«. 243
    Wieso, fragt man sich, ist er dann eigentlich nicht eine Art Präsident?
    Das Problem ist: Auf dem Weg von den Felsenklippen zur Arche Noah der Wissensgesellschaft ist den Autoren der neuen Lebensläufe etwas abhandengekommen.
    Für die Menschen, die im Informationskapitalismus gewinnen oder verlieren, geht es in ihrem Leben um diesen Moment zwi schen Ufer und Schiff. Sie sind mit der Behauptung konfrontiert, dass, wer nur will, alles

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