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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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gewesen ist, und möglicherweise haben Sie keine Zeit gehabt, sich Ihrer eigenen Bedürfnisse anzunehmen. Wie ich höre, bereitet Watatsumi ein leichtes Abendessen für die Tochter des Colonels vor. Vielleicht würden Sie ihr gern Gesellschaft leisten. Und vielleicht würden Sie vorher gern ein Bad nehmen und sich umziehen.«
    Loeser war Mildred Gorge nie bewusst begegnet, aber als man ihn später am gleichen Abend ins Speisezimmer bat, erkannte er sie sofort wieder: Da saß die Rothaarige aus dem Zuschauerraum im Gorge-Auditorium – zwangsverpflichtet, wie er argwöhnte, von ihrem Vater, der sein eigenes Theater aus offensichtlichen Gründen nicht besuchen konnte. Woodkin stellte ihn vor. Er setzte sich. Sie nahm seine Anwesenheit kaum zur Kenntnis. Und binnen einer halben Stunde hatte Loeser beschlossen, dass er verliebt war.
    Als Prolegomena zu einer Erklärung dieser überraschenden Wendung folgt nun eine unvollständige Liste der Themen, die Loesers Konversation mit Mildred Gorge an jenem Abend abdeckte und die bei der Erbin nicht das kleinste ersichtliche Quantum an Zustimmung oder Interesse wachrufen konnten. Das leckere scharf angebratene Thunfischsteak und der Artischockensalat von Watatsumi; Watatsumis Kochkunst im Allgemeinen; alle Gerichte, die sie je im Leben gegessen hatte; Essen im Allgemeinen wie auch Trinken; das Wetter in Los Angeles; Wetter im Allgemeinen; Sonnenschein im Allgemeinen wie auch Schatten; das großzügige Graduiertenstipendium, das die Cambridge University ihr für ein Studium der Moralphilosophie angeboten hatte; Lernen im Allgemeinen; Rationalität im Allgemeinen wie auch Wahnsinn; Großbritannien; Europa; die zivilisierte Welt; Reisen im Allgemeinen wie auch Zu-Hause-Bleiben; die Villa Gorge; ihr Familienvermögen; Geld im Allgemeinen wie auch alles, was man damit kaufen kann; hypothetische Boyfriends; menschliche Gesellschaft im Allgemeinen wie auch das Alleinsein; Theater; Kunst im Allgemeinen; ihr Glück, einer Explosion entkommen zu sein, die sie und Hunderte anderer das Leben hätte kosten können; ihr fortdauerndes Überleben im Allgemeinen wie auch ihr Tod; Segelboote; Tigerbabys; Löwenmäulchen; Zimt; Lachen.
    Sie mochte eigentlich gar nichts. Das könnte zwar pathologisch klingen, aber im Grunde sah es nicht so aus, als würde Mildred Gorge an Depressionen leiden, kränkeln oder in der Adoleszenz feststecken: Ihre Haltung zur Welt erwuchs nicht aus dem Gemüt, aus einer Stimmung oder Pose, sondern vielmehr aus einem rationalen Urteil. Die Möglichkeit, dass sie irgendwann in der Zukunft, vielleicht sogar im nächsten Augenblick, von irgendeiner Ansicht, einem Ereignis, Ding oder Menschen mädchenhaft überrascht und entzückt wäre, ließ sich nicht ausschließen, nur gerade jetzt langweilte sie eben zufällig alles. Mit anderen Worten, für die meisten wäre ein Gespräch mit Mildred Gorge so etwas wie Ketamin zum Hören, aber für Loeser war es alles andere als ermüdend. Für ihn gab es nichts Anziehenderes als ein Mädchen, das schwer zu beeindrucken war. Und er hatte noch nie ein Mädchen getroffen, das schwerer zu beeindrucken gewesen wäre als Mildred Gorge. Sie war die völlige Negation ihrer Geburtsstadt, ein perlmuttglänzender Nierenstein, der Kalifornien gewachsen war; mit einem einzigen Schütteln ihres Kopfes konnte sie eine Million Erdölpumpen beschämen, die nickten, nickten, nickten. Er dachte an das Kinderbild, das er in der Schatzkammer gesehen hatte: ein alter Krüppel, der in einer Art Steinbruch im Regen sitzt. Fünf Jahre alt, aus Pasadena, und das hatte sie gemalt.
    Nie im Leben hatte er etwas so unbedingt heiraten wollen.
    »Seltsam, dass wir uns noch nie begegnet sind«, sagte er, während ein Hausmädchen den Tisch abdeckte. Woodkin stand noch immer in einer Ecke, offenbar als Anstandswauwau, aber Loeser hatte schon Fußleisten erlebt, die aufdringlicher waren.
    »Eigentlich nicht«, sagte Mildred. »Seit ich aus Radcliff zurück bin, war ich viel bei meiner Freundin Goneril.«
    »Wie bitte, haben Sie eben Goneril gesagt?«
    »Ja. Warum? Kennen Sie sie?«
    »Nein, aber meine Eltern waren Psychiater und hatten einmal einen amerikanischen Patienten, der eine seiner Töchter Goneril genannt hatte; sie müsste jetzt ungefähr in Ihrem Alter sein, und das ist so ein ungewöhnlicher Name …«
    »Ihre Schwester heißt Regan.«
    »Genau, das ist er.«
    »Und seine Yacht hat er ›Titanic‹ getauft und sein Unternehmen ›Roman Empire

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