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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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der Tasche und drückte sie dem Gondoliere in die Handschuhe. »Dann tun Sie sich bitte keinen Zwang an.«
    Der Gondoliere schwieg einen Augenblick lang, dann winkte er Sauvage hinunter in die Gondel. Beim Abstoßen auf die Lagune blickte Sauvage zu den beiden Wachtürmen auf, die sich im Westen über den Mauern des Arsenals erhoben. Von Anfang an war ihm Venedig nicht wie eine Insel vorgekommen, sondern wie ein großes freischwimmendes Floß, das nur von Brücken, Wäscheleinen und der Selbstgefälligkeit der Tauben zusammengehalten wurde und losmachen und sich nach Süden treiben lassen konnte, wann immer es das Interesse am Festland verlor.
    »Warum tragen Sie ausgerechnet diese Maske?«, sagte er.
    »Die Seuchen kommen über das Meer nach Venedig«, sagte der Gondoliere. »Es gab jetzt eine Weile keine mehr, aber das kommt schon noch. Wir in den Gondeln leben genauso sehr im Reich der Pest wie die Ärzte.« Er ruderte schnell, aber man hörte ihm die Anstrengung nicht an. »Außerdem finden meine Neffen sie toll.«
    Als sie ans andere Ufer kamen, saß dort ein Wolf und starrte sie an wie ein Wesen, das in einem Destillierkolben aus dem Widerschein des Mondlichts auf der Wasseroberfläche auskristallisiert war. Einen Moment lang wurde Sauvages Rückgrat von der Schönheit des Anblicks angeschlagen wie ein Xylophon, aber dann klopfte der Gondoliere ein paarmal mit seinem Riemen an die Bordwand, und der Wolf erhob sich und trottete auf seinen überraschend dünnen Beinen gemächlich davon.
    »Sie warten hier auf mich?«, sagte Sauvage, als sie an dem kleinen Holzsteg anstießen.
    »Ich komme besser mit. Man weiß nie, ob da nicht noch ein ganzes Rudel lauert.«
    »Ich habe noch nie gehört, dass ein Mensch in Venedig von Wölfen angegriffen worden wäre.«
    »Da drüben nicht«, sagte der Gondoliere und deutete mit dem Daumen zurück in Richtung Arsenal. »Aber hier draußen auf Vignole finden sie nicht genug Abfall zu fressen.«
    Also wartete Sauvage, bis der Gondoliere sein Boot vertäut hatte, und dann gingen sie über den Strand auf eine kleine Kirche zu – nicht mehr als der Stumpf eines eingestürzten Turms neben einem kleinen Wäldchen.
    »Wissen Sie etwas über den Ort?«, fragte Sauvage. Nach einer Woche in Venedig war ihm die Stille von Vignole bei Nacht unheimlich.
    »Nicht viel. Sehr alt, glaube ich. Geht ganz bis in die Zeit von Barbarigo zurück, mindestens. Aber während der Pest, die meine Urgroßmutter umgebracht hat, fing der Priester an, die Kranken aufzunehmen. Es wurde schnell voll, und dann starb der Priester, und nach der Pest wollte die Insel keiner mehr haben.«
    Sauvage steuerte nicht direkt auf die Kirche zu, stattdessen erklomm er den kleinen Hügel zu seiner Rechten, und der Gondoliere folgte ihm. Als sie oben waren, entfaltete Sauvage ein Blatt Papier, das er im Geldbeutel bei sich getragen hatte: eine gekonnte Bleistiftskizze des Ausblicks von dem Hügel, auf dem sie standen, links das Arsenal, rechts breiteten sich die Sümpfe aus. »Ich wollte hier etwas überprüfen, das ich vom anderen Ufer aus nicht richtig sehen konnte. Diese Zeichnung hat vor fünfzehn Jahren ein Siamese angefertigt, der nach Venedig gekommen war, um malen zu lernen. Hier im Vordergrund hätte die Kirche stehen müssen, neben den Bäumen. Aber sie fehlt.«
    »Vielleicht hat er sie einfach ausgelassen. Die Orientalen sind doch alle Heiden.«
    »Nein, er war Christ und hat nichts ausgelassen. Ich habe ihn gefragt.«
    »Sie kennen ihn?«
    »Ja. Er lebt noch immer in Venedig. Ich habe ihm die Zeichnung abgekauft, und er hat mir noch etwas dazugeschenkt.« Sauvage nahm einen kleinen Stoffbeutel vom Gürtel und zeigte dem Gondoliere, was darin war.
    »Was ist das?«
    »Wonach sieht es aus?«
    »Nach gepanzerten Himbeeren.«
    »Sie heißen Litschis. Kommen aus Siam.«
    »Wie sind sie ganz bis nach Venedig gekommen?«
    »Das weiß ich nicht.« Sauvage aß eine, dann schälte er noch drei und warf sie ins Gras. »Vielleicht finden die Wölfe sie, als Ersatz für die Abfälle, die ihnen fehlen.« Der Gedanke, dass es in hundert Jahren in den Städten keine wilden Tiere mehr geben würde, machte ihn traurig.
    Sie gingen den Hügel hinunter auf die Kirche zu. Aus der Rinde der nahen Judasbäume sprossen rosa Blümchen, als würden die Stämme davon überquellen. »Warum interessieren Sie sich so für diese Kirche?«, fragte der Gondoliere.
    »Sie sagen, sie sei – hoppla – vor sechzig Jahren verlassen worden«, sagte

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