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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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Umschlag leer angekommen war. Vielleicht war Blumstein zerstreut gewesen; oder Emma, seine Frau, war zerstreut gewesen; vielleicht war es auch gar kein Irrtum gewesen, sondern eine absichtliche theatralische Metapher für die Unmöglichkeit jeder Art von Versöhnung; oder irgendein Postbeamter hatte den Umschlag unter Dampf geöffnet, zu Zwecken der Zensur oder der Spionage oder um zu klauen, und den Inhalt irrtümlich nicht wieder hineingetan. All diese Erklärungen waren irgendwie einleuchtend, während sich unmöglich belegen ließ, dass Blumsteins Untergang in kausaler Verbindung mit einem leeren Briefumschlag stand.
    Und trotzdem war sich Loeser völlig sicher. Er würde Blumstein nie wiedersehen. Nicht ohne Phasmatometer.
    Das Telefon klingelte, und Loeser nahm ab. Genau wie beim Eintreffen des ersten Schreibens von Blumstein war es Woodkin, der ihn dankenswerterweise aus seinen Gedanken riss und ihn in die Villa Gorge einbestellte.
    Loeser hatte Gorge seit dem Sommer nicht mehr gesehen, und als sie ankamen, hielt Woodkin ihn im Flur zurück. »Bevor Sie weitergehen, Mr Loeser, muss ich Sie warnen. Der Zustand meines Arbeitgebers hat sich verschlimmert.«
    »Was ist es diesmal?«
    »Er kann nicht mehr lesen.«
    »Mein Gott, ist er so krank?«
    »Sie dürfen mich nicht missverstehen. Colonel Gorge ist natürlich noch immer in der Lage, die Worte auf einer Seite zu verstehen. Das ist ja gewissermaßen das Problem. Wenn der Colonel in einer Zeitung das Wort ›Hurrikan‹ liest, glaubt er jetzt, wirklich einem Hurrikan ausgesetzt zu sein. Seine ontologische Agnosie ist weiter fortgeschritten – er kann noch schlechter zwischen Darstellung und dem Gegenstand der Darstellung unterscheiden.«
    »Das Lesen gehöre nicht zu den Hobbys des Colonels, haben Sie mir mal erzählt.«
    »Das stimmt, aber der Colonel hat die Buchführung von Sky-Shine immer sehr genau geprüft. Wenn er jetzt allerdings zum Beispiel ›$ 898 854,02‹ liest, sieht er 898 854 echte Dollar und zwei echte Cent vor sich liegen, und das obwohl alles Bargeld aus diesem Haus verbannt wurde, nachdem er zum zweiten Mal zu den Waffen gegriffen hatte, um George Washington aus den Händen von Kidnappern zu befreien. Und wenn er ›$-898 854,02‹ liest, dann sieht er – nun, selbst als er sich von dem Krampfanfall erholt hatte, konnte er die Erfahrung noch nicht wirklich beschreiben –, aber wie ich es verstehe, handelt es sich um die greifbare und niederschmetternde Verkörperung eines 900 000-Dollar-Defizits. Sehr unangenehm für einen Geschäftsmann. Colonel Gorge ist heute ein eiserner mathematischer Realist geworden, genau wie Ihr Landsmann Mr Gödel. Wie Sie sich vorstellen können, muss er seine Geschäfte jetzt per Telefon führen und für die Nachrichten Radio hören.«
    »Was ist, wenn er ein Wort liest, das für eine abstrakte Idee steht?«, sagte Loeser. »Zum Beispiel ›Reue‹? Was sieht er dann?«
    »Glücklicherweise bedeuten abstrakte Ideen dem Colonel, wie er mir oft versichert hat, nichts. Das gehört zu den persönlichen Eigenschaften, denen er seinen Erfolg zuschreibt.«
    Trotz alledem wirkte Gorge kein bisschen kleinlaut, als Loeser im Billardzimmer vor ihm stand. »Macbeth, Krauto?«
    »Wie bitte?«
    »Aus Versehen ›Macbeth‹ gesagt?«, witzelte Gorge. »Einer Ihrer Schauspieler?«
    »Professor Bailey hat Ihr Theater zerstört. Das war kein Fluch.«
    »Ja. Bailey. Hat Dynamit benutzt. Tonnenweise, sagt die Polizei. Genug, um diesen ganzen Laden in die Luft zu jaaaaa-« Und dann schwang Gorge sich wie auf Befehl über die Armlehne seines Sessels, warf sich auf den Boden und schützte den Kopf mit den Händen.
    Loeser kannte sich inzwischen mit der Psychopathologie der ontologischen Agnosie aus und begriff nach einem kurzen Augenblick, dass der Tycoon zu einer großen Geste angesetzt hatte, um die hypothetische Zerstörung der Villa zu verdeutlichen, dann diese Geste gesehen und mit der tatsächlichen Zerstörung der Villa verwechselt hatte und in Deckung gegangen war. »Das war keine Explosion, Colonel, das waren nur Ihre Hände.« Ein so krudes Hilfsmittel wie Dynamit war ein armseliger Tribut Baileys an Lavicini gewesen, dachte Loeser, wenn auch nicht ganz unvereinbar mit dem Geist des Neuen Expressionismus.
    Gorge nahm wieder Platz. »Hände! Natürlich. Entschuldigung. Na, scheinen jedenfalls in der Familie zu liegen, einstürzende Theaterbauten. Hat auch sein Gutes. Kann ich immer noch von der Steuer absetzen. Und keine

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