Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
eingetroffen und hatte feststellen müssen, dass Zinnemann, schon immer ein anstrengender Gastgeber, ein neues Spiel erfunden hatte.
»Wir sind jetzt in dem Alter, wo jeder mit jedem geschlafen hat«, hatte er seinen versammelten Gästen erklärt. »Es mag persische Königsdynastien gegeben haben, die inzestuöser waren, aber ich glaube, davon abgesehen sind unsere Kreise so ungefähr das Äußerste. Der Ausdruck ›Erschöpfung der Permutationen‹ wäre nicht fehl am Platze. Nun, manche finden das langweilig und sagen, wir sollten alle neue Freunde finden. Ich finde, wir sollten es feiern.« Und er fing an, aufgewickelte bunte Bänder auszuteilen. »Seht euch im Raum um. Wenn ihr jemanden seht, mit dem ihr im Bett wart, dann bindet euch an den Handgelenken mit einem der Drei-Meter-Bänder aneinander. Und wenn ihr jemanden seht, mit dem ihr öfter im Bett wart, auf so einer freudlosen kleinbürgerlichen pseudo-ehelichen Basis – mit anderen Worten, wenn ihr jemanden seht, mit dem ihr ›zusammen‹ wart –, dann bindet euch an den Handgelenken mit einem der Ein-Meter-Bänder aneinander. Das ist im Ergebnis nicht unangenehmer und peinlicher als jede andere Party auch – nur greifbarer. Und nach dem heutigen Abend wird euch jede andere Party im Vergleich völlig locker vorkommen.«
Es gab eine verblüffte Pause. Dann taten zu Loesers Überraschung alle wie geheißen. Ihnen musste klar geworden sein, dass sich am Tag darauf gut davon erzählen lassen würde. Nach kurzer Zeit hatte Zinnemanns gute Stube sich in ein großes regenbogenfarbenes Spinnennetz verwandelt. Die Bänder waren bunt, damit sie sich besser von einem Ende zum anderen verfolgen ließen, und tatsächlich wurden einige Verhältnisse offenbart, die vorher nicht bekannt gewesen waren. Alle Gäste wurden von ihren ehemaligen Bettgefährten hierhin und dorthin gezerrt, so völlig verstrickt in ein allgemeines Netz der Verliebtheiten von einst, dass sie sich unter dem Liebeskummer eines anderen hätten hindurchducken müssen, wenn sie sich etwas zu trinken holen wollten. Es gab eine Art von Symbolik, die allzu verräterisch war, dachte Loeser – aber das eigentliche Problem war, dass Marlene fehlte, so wie zufällig auch seine anderen vier, und so trug er kein Band ums Handgelenk und sah aus wie ein Eunuch. Das ertrug er nicht, selbst wenn es eigentlich richtig war. Also kroch er auf allen vieren aus dem Zimmer und nahm sich ein Taxi zu den Fraunhofens in Schlingendorf.
Herr Fraunhofen war ein Maschinengewehrfabrikant, dessen Gattin Lotte sich für kultiviert hielt, weshalb sie allmonatlich Schriftsteller und Schauspieler und deren Hilfstruppen zu einem abendlichen Salon bei sich zu Hause einlud. (Es handelte sich um eine jener Wohnungen, wo selbst die Fransen an den Fransen noch Fransen an den Fransen hatten, was ein blöder Witz gewesen wäre, hätte es nicht in mehreren Fällen wirklich gestimmt.) Natürlich kamen die interessanten Leute nie vor Mitternacht, wenn der langweilige Teil vorbei war, es aber noch jede Menge Wein und oft auch noch etwas zu essen gab. Und tatsächlich stand Loeser im Speisezimmer und hatte den Mund voll kalter Wurst, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. Er drehte sich um. Es war seine ehemalige Schülerin, in einem schwarzen Kleid mit ein paar über den Saum gestreuten Pfauenfedern. Dieser Tage waren die meisten ihrer Kleider Leihgaben von befreundeten Modedesignern.
»Hallo, Egon.«
Loeser würgte einen großen Kloß Kalbfleisch herunter. »Hallo, Adele.« Sie tratschten ein wenig über Herrn Fraunhofens jüngste Verluste beim Glücksspiel, und dann sagte er: »Ich hätte gedacht, die Leute auf dieser Party wären ein bisschen zu alt für dich. Ich glaube, ich habe hier niemanden gesehen, der sich ein Abführmittel für Pandabären spritzt oder was sonst gerade in Mode ist.«
»Ich war mit John und Helga im Taxi, und uns ist sonst nichts eingefallen, wo wir noch umsonst was zu trinken bekommen«, erklärte Adele. »Außerdem ist dieser Sartre hier.«
»Der Franzmann? Den habe ich kennengelernt. Er sieht aus wie eine Porträtzeichnung, die ein Vierjähriger von seinem Vater macht.«
»Es heißt, er sei sehr gescheit, mein Schatz.« Sie nannte jetzt alle »Schatz«. »Er studiert bei Husserl.«
»Erzähl mir nicht, dass du mit ihm schlafen willst! Stell dir vor, du wachst morgens auf und siehst, wie er dir mit diesem Schielauge auf die Titten starrt. Und außerdem weißt du gar nicht, wer Husserl ist.«
»Weiß
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