Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Aber sie waren jetzt fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt. Und es waren die Neunzehn- und Zwanzigjährigen, die bestimmten, wo es langging. Zum ersten Mal im Leben machte Loeser sich einen Begriff davon, wie sich die frühen Tage des Expressionismus für die ältere Generation, die der Realisten, angefühlt haben mussten. Nicht nur, dass er fast schon die anstrengenden und nervigen Gespräche vermisste, die er früher mit Menschen geführt hatte, die rücksichtsloserweise mehr gekokst hatten als er, fast beneidete er auch schon Achleitner, weit weg in den Bergen mit seinen neuen Nazi-Freunden, fern von dem ganzen Beruhigungsmittelunsinn, der durchaus in der Lage sein mochte, ein ansonsten recht vielversprechendes Jahrzehnt zu ruinieren.
Der Siegeszug des Ketamins fiel zusammen mit dem Siegeszug eines anderen jungen Pferdes – eines gewissen hübschen Mädchens namens Adele Hitler, das jetzt unter den einflussreichsten Fohlen ganz vorn mitspielte. Auf jener ersten Party in Puppenberg war sie die Debütantin gewesen, aber als das Jahr 1931 sich neigte, bekam sie schon mehr Einladungen als Brecht, was auch nicht schwer zu begreifen war: Man konnte sich darauf verlassen, dass sie umwerfend aussah, man konnte sich darauf verlassen, dass sie sich auf unterhaltsamste Weise betrank, und vor allem konnte man sich darauf verlassen, dass sie jemanden ficken würde, über den es sich zu tratschen lohnte. Rackenham war nur der Anfang gewesen. Wenn man hörte, mit wem Adele Hitler nach einer bestimmten Party ins Bett gegangen war, war das wie die Auflösung eines besonders eleganten Kriminalromans: Nie im Leben hätte man gedacht, dass x der Mörder war, aber jetzt, da feststand, dass es x war, erkannte man, dass es nie ein anderer hätte sein können als x . Sie fickte Brecht, weil jede es tat, sie fickte Brogmann, weil niemand es tat; sie fickte Littau, weil er schwul war, sie fickte Hannah Czenowitz, weil sie hetero war; sie fickte Hecht, weil er eine Freundin hatte, sie fickte Klein, weil er bekanntlich impotent war; sie fickte Klarinette spielende Neger und einbeinige Kriegsveteranen, Drogendealer und Botschaftersöhnchen. Und so ging Adele Hitlers Legende: In zwei Jahren erstaunlicher Promiskuität hatte sie nie jemanden mehr als ein Mal gefickt, und sie hatte nie jemanden gefickt, der nicht auf die eine oder andere Weise als Coup gelten konnte.
Da war etwas an schönen, sexuell aktiven Frauen, das Loeser das Gefühl gab, seine Seele würde mit spitzen Feuersteinen bombardiert. Wenn sie mit ihm sexuell aktiv waren, war natürlich alles in Ordnung. Aber wenn sie es mit anderen trieben, litt er Höllenqualen. Er konnte nicht aufhören, über jenen übernatürlichen Augenblick der Unterwerfung nachzudenken, jene dramatische Wendung, wenn sie ihre ganze Weichheit neu verteilten, wenn ihr limbisches Wahlvolk irgendeinen neuen und unvertrauten Tyrannen erkor. Was ging da vor? Genossen Frauen diese flüchtigen Begegnungen mit Männern, die sie kaum kannten, tatsächlich? Es konnte keine befriedigende Antwort geben, denn wenn sie es nicht taten, dann wurde ihre Schönheit ausgebeutet und geplündert, was eine Tragödie wäre, und wenn sie es taten – nun, das war unmöglich. Das war einfach unmöglich. Dass Augen wie jene Adeles im gleichen Körper wohnten wie das triviale Begehren, von einem ungewaschenen Dichter über einen Schreibtisch geworfen zu werden, war ein Paradox, so unergründlich wie die Unteilbarkeit der Dreifaltigkeit.
Loeser dagegen hatte sehr lange keinen Sex mehr gehabt. Er hatte hart daran gearbeitet, seine Seele von allen Spuren der Nacht in der Korsettfabrik zu reinigen, aber wenn er, allein um seine Biografie mit einem wenigstens minimalst sympathischen Protagonisten auszustatten, davon ausging, dass er die fünfzehnjährige Prostituierte nicht angerührt hatte, dann war Marlene Schibelsky seine letzte Frau gewesen, und das war nunmehr fast zwei Jahre her. Als er Achleitner gesagt hatte, er werde es vielleicht nie wieder hinbekommen, hatte er es selbst nicht geglaubt, aber jetzt entdeckte er im Rückblick einen Hauch von Plausibilität daran. Seine sexuelle Frustration war so stark, dass sie sich langsam wie eine lebensbedrohliche Krankheit anfühlte: Hodengicht, Libidowundbrand.
Sein entmutigendes Gespräch mit Adele hatte sich um genau dieses Thema gedreht – sexuelle Überfülle, nicht deren Gegenteil. In der Nacht zuvor war er bei einer Party in Zinnemanns Wohnung in Hochbegraben
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