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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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ich doch: der Autor der Transzendentalen Phänomenologie . Und halt du doch einfach deinen Mund.«
    Nur so konnte Loeser mit Adele Hitler, dem Objekt der stärksten erotischen Obsession seines Lebens, umgehen, ohne in Tränen auszubrechen: Er machte bittere Witze über ihr sexuelles Programm. Wenig heroisch. Aber wenigstens schien sie ihn manchmal amüsant zu finden, und recht oft benahmen sie sich einfach wie alte Freunde. Er hätte wahrscheinlich sogar ewig damit weitermachen können, wie man es in solchen Situationen ja manchmal tut, und es gab keinen Grund für ihn, ausgerechnet in diesem Gespräch als erstem aller Gespräche, die sie seit jener Nacht in Puppenberg geführt hatten, ehrlich zu ihr zu sein – die Daumenschrauben seiner Verzweiflung saßen nicht fester als sonst –, aber er war betrunken, und irgendwie hatte ihn Zinnemanns Spiel ans Ende seiner Geduld gebracht, und er hörte sich sagen: »Warum tust du das, Adele?«
    »Was?«
    »Warum verschwendest du dich an all diese Leute? Warum gehst du mit Sartre und Brogmann ins Bett und mit … mit …« Er versuchte, auf ein besonders vernichtendes Beispiel zu kommen.
    »Mit den Kellnern im Schwanneke?«, schlug Adele vor.
    »Ja, genau«, sagte Loeser. Und dann: »Wie bitte?«
    »Du möchtest wissen, warum ich mit den Kellnern im Schwanneke ins Bett gehe.«
    »Im Grunde möchte ich lieber hören, dass du in Wahrheit nicht mit den Kellnern im Schwanneke ins Bett gehst.«
    »Na ja, nicht mit allen.« Loeser sah sie einfach nur an, mit Ekel im Blick, also fügte sie hinzu: »Alle Welt geht mit den Kellnern im Schwanneke ins Bett, Schatz. Der Besitzer ist schwul, also sind sie die hübschesten in Berlin.«
    »Herr im Himmel. Meine fiebrigsten paranoiden Wahnvorstellungen … sind sie denn alle wahr?«
    »Was soll ich sagen, Egon? Ich mache es ja nicht, um dich persönlich zu beleidigen. Ist das eine Klassenneurose?«
    »Du fickst den Mann, der dir den Kaffee bringt, einfach nur, weil er hübsch ist, und ich muss dir zwei Jahre lang nachlaufen und …«
    Sie machte eine Handbewegung, als wollte sie ihn vertreiben wie eine Bremse. »O bitte, fangen wir nicht wieder damit an. ›Liebe ist die sinnlose Überschätzung des minimalen Unterschieds zwischen einem Geschlechtsobjekt und dem anderen.‹«
    »Von wem ist das?«
    »Stand auf einer Party an der Wand.«
    »Ach, dann muss es ja wahr sein! Und meine ganze Hingabe bedeutet gar nichts?«
    »Ich fühle mich geschmeichelt, aber es ist sinnlos, es überhaupt miteinander zu versuchen. Du bist die Sorte Mann, die es nicht ertragen könnte, wenn ich untreu wäre, aber du bist auch die Sorte Mann, der ich untreu werden müsste. Dieser Typ bist du. Ein Hahnrei in der Lehre.«
    Ein Hahnrei in der Lehre! War er das wirklich? Als Loeser in seinem feuchtkalten Bett lag, konnte er sich nicht mehr an den Rest des Gesprächs erinnern. Was für ein Witz auf Kosten der Menschheit, dachte er, diese willkürlichen Vorkommen von Schönheit, wie willkürliche Goldvorkommen, ein arbiträres und zweckfreies Desiderat, Ausgangspunkt für das Traktat eines Philosophen oder Mathematikers – ›Sei x das, was du auf der Welt am meisten begehrst‹; ›Nehmen wir an, y wäre es wert, dafür zu töten‹ –, der alles Folgende dazu verdammt, nur noch tautologisches Beiwerk zu sein. Und dann dachte er daran, wie sie aussähe, wenn sie jetzt neben ihm läge, ein Wesen aus Augenaufschlägen und wirrem Haar, dem mit jedem Gähnen Gliedmaßen nachwuchsen und das doch so schlank war, dass es seine Gestalt in den Falten der Bettdecke verstecken könnte. Er schlief wieder ein, hatte eine Reihe von Träumen, in denen er ein Glas kaltes Wasser nach dem anderen trank, ohne dass sein Durst je nachließ, und wurde dann um elf von den üblichen Rufen »Auf!« und »Nieder!« und »Hoch das Bein!« wieder geweckt. Dieser Anblick war es immerhin wert, dafür aufzustehen, also hebelte er seine Augenlider wie zwei störrische Austern auf und wuchtete sich irgendwie ans Fenster. Schräg gegenüber in der Kannerobertstraße stand eine große Spieldosenfabrik, die nach kurzer Bankrottphase wieder aufgemacht hatte, und drei Mal am Tag mussten sich alle Mädchen, die dort arbeiteten, für zwanzig Minuten auf dem Dach versammeln und produktivitätsfördernde Gymnastik treiben. Für Loeser war dieses Varieté Folter und erbaulichere Alternative zu Mitternacht in der Schwesternschule zugleich. Irgendwann einmal wollte er hinuntergehen, bei Schichtende vor dem

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