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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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den Blick. Der Zauberer von Venedig von Rupert Rackenham. Sofort, und noch ohne einen Gedanken an die theatrale Evaluation zu verschwenden, drehte Loeser sich um und warf das Buch mit einem Lustschrei in hohem Bogen ins Feuer. Danach reichte der Student ihm den Text der Dreigroschenoper von Brecht und ein zerfleddertes Exemplar von Berlin Alexanderplatz . Mit Freuden warf Loeser dem Rackenham Brecht und Döblin hinterher. Dann noch etwas von Kafka und Trotzki und Zola, gegen die Loeser im Grunde nichts hatte, aber er war zu sehr in Fahrt, um aufhören zu können. Schließlich wurde ihm dabei ein wenig unwohl, und er klopfte dem Studenten dankbar auf den Rücken und machte sich wieder auf den Weg.
    Aber kaum hatte er den Schein des Feuers verlassen, schwirrten all seine Sorgen wieder um ihn herum wie ein Schwarm lichtscheuer Mücken. Adele fort, Achleitner fort. Blumstein betrog ihn mit Klugweil, Klugweil betrog ihn mit Marlene. Ketamin, Politik, Langeweile. Zwei Jahre lang kein Sex. Auf allem ein klebriger Film aus Enttäuschung. Berlin war die Hölle. Er dachte an die Schrift, die Nietzsche in seinem letzten Jahr bei geistiger Gesundheit zusammengeschustert hatte, nach seinem Zerwürfnis mit Wagner. Nietzsche contra Wagner. Loeser contra Blumstein. Loeser contra omnes .
    Wie hatte Lavicini sich gefühlt, als er Venedig verließ? Wie lange hatte er fortbleiben wollen? Hatte er auch nur einen Hauch von Angst verspürt, im Ausland zu sterben?
    Na gut, beschloss Loeser. Scheiß drauf.
    Paris.

3
    PARIS, 1934
    »Liebe Mutter, lieber Vater. Gute Nachrichten: Ich bin reich. Ich kontrolliere den Vorhautmarkt.« Scramsfield saß auf der Terrasse eines Cafés an der Rue de l’Odéon und versuchte sich einzureden, das Scheitern seiner Pläne sei in Wahrheit ein Segen, und sein erster Trost war, dass er seinen Eltern niemals davon hätte erzählen können. »Ich habe meine literarischen Ambitionen für immer an den Nagel gehängt, nun, da die zarten Hutbänder neugeborener Jungen mir eine andere Art Ruhm eingebracht haben. Wenn ich in Paris ein Lokal betrete, ertönt überall sofort der Ruf: ›Holla, für den Schniedel-Magnaten von den Champs-Élysées gehen alle Getränke aufs Haus!‹« Nein. Unmöglich.
    Aber natürlich hätte er es nicht so klar ausdrücken müssen: Er hätte einfach sagen können, er führe einen Zulieferbetrieb für die kosmetische Medizin. Was der Wahrheit entsprochen hätte. Dem Armenier zufolge sollte die Hälfte der Vorhäute zu einer Hautcreme zermatscht werden und die andere Hälfte als Transplantate zur Heilung von Verbrennungen und Druck- und Venengeschwüren Verwendung finden. Alte Frauen und Privatkrankenhäuser bezahlten Tausende von Francs für eine Unze Penis-Carpaccio, weil die Zellen eines Neugeborenen angeblich noch so schwach ausgebildet waren, dass sie sich umstandslos in jede alte Stirn und jeden alten Schenkel einfügten. Es klang nach Voodoo, nach mittelalterlichen Päpsten, die das Blut von Neugeborenen tranken, um den Tod wegzuekeln, aber nach reiflicher Überlegung hatte Scramsfield sich entschieden, es zu glauben. Er musste sich nur vor Augen rufen, wie er selbst 1929 zum ersten Mal vom Deck der »Melchior« Le Havre erblickt hatte, dann wusste er wieder, dass man als Neuankömmling jedem die Hand schüttelte wie seinem besten Freund. Der Armenier hatte erklärt, es müsse nicht unbedingt Vorhaut sein – Bauchfett würde es auch tun, nur dass die Vorhaut natürlich normalerweise das einzig entbehrliche Stück des Kleinen sei, worauf Scramsfield sich gefragt hatte, was er wohl mit »normalerweise« meinte; aber egal, das war der Unterschied zur berühmten Affendrüsenbande, die glaubte, dass man einem Mann nicht einfach jedes x-beliebige Stück Affe in den Sack nähen konnte, es müsse schon der Inhalt des Affensacks sein, damit man auch alle wichtigen endokrinen Säfte abbekam.
    »Bande« war vielleicht nicht das richtige Wort. Scramsfield hatte einen Freund namens Weitz, der Zahnarzt war. (Weitz formte die Konsonanten beim Sprechen oft nur halb, als hätte er den Mund weit offen stehen; Scramsfield hatte ihn einmal danach gefragt, und er hatte geantwortet, das sei, wie einen Akzent anzunehmen, wenn man längere Zeit im Ausland lebte.) Im vergangenen Jahr hatte Weitz in der Europäischen Zeitschrift für Anästhesiologie einen kurzen, aber einflussreichen Aufsatz veröffentlicht und war daraufhin vom berühmten Dr. Sergej Woronoff zum Essen eingeladen worden, oben im Château

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