Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Grimaldi, wo die Affenzucht, die den größten Teil des Grundstücks einnahm, von einem Dompteur aus einem bankrotten Zirkus beaufsichtigt wurde. Weitz berichtete, Woronoff glaube wirklich an das, was er tue: Er glaube wirklich, er könne einem Mann zwanzig oder dreißig zusätzliche Lebensjahre schenken – und unbändiges Stehvermögen dazu –, wenn er zwischen dem Hodenpaar dieses Mannes ein Affentestikel versteckte wie ein Päckchen mit Schmuggelware. »Man ist nur so alt wie seine Drüsen«, pflegte er zu sagen. Seit Jahren standen die Patienten Schlange: Er hatte Präsidenten veredelt und Maharadschas, den Hund des Herzogs von Westminster und selbst, so ging das Gerücht, Papst Pius XII ., was die Frage aufwarf, was genau es mit diesem Amt auf sich hatte, wenn man so verzweifelt versuchte, die große Sitzung mit dem Chef hinauszuzögern. Und jetzt, da alle endlich gemerkt hatten, dass die Methode Unsinn war und ihr Erfinder in allen Zeitungen durch den Kakao gezogen wurde, glaubte Woronoff selbst noch immer so fest daran wie früher. Nun, warum auch nicht? Das Geld konnten sie ihm nicht wegnehmen. Die hübsche einundzwanzigjährige Frau konnten sie ihm nicht wegnehmen.
Wie dem auch sein mochte, das Präputiums-Spiel lief anders als das Primaten-Spiel. Scramsfield hätte niemals ein Monopol errichten können wie Woronoff, oder jedenfalls nicht lange. Und das war ihm der zweite, praktischere Trost gewesen: Nach drei oder vier Monaten hätten entweder die Rabbis oder der Armenier es sattgehabt, den Schnitt, den sie machten – um es einmal so auszudrücken –, untereinander aufzuteilen, und man hätte Scramsfields Anteil still und leise beschnitten. In diesen drei oder vier Monaten aber hätte er leben können wie ein Guggenheim. Er hätte eine weitere Ausgabe von apogee herausbringen können, vierundsechzig Seiten mit Halbton-Illustrationen auf gestrichenem Papier, und alle Beiträger hätten pünktlich ihre fünf Cent pro Wort erhalten. Er hätte die Kaution für den alten Schusterladen im Quartier Latin hinlegen können, den er, wie er schon lange überall herumerzählte, in eine Galerie umwandeln wollte; er hätte seine blaue Corona auslösen können, die schon lange beim Pfandleiher darbte; er hätte den geliehenen Anzug zurückgeben und sich selbst einen kaufen können, der ihm nicht unter den Achseln kniff. Diesmal hätte er nicht alles in der Sphinx auf den Kopf gehauen. Und er hätte dann auch nicht, wie jetzt, hier gesessen, den Eingang von Shakespeare and Company im Auge, wohl wissend, dass er, wenn niemand auftauchte, der seine Bekanntschaft machen wollte, bevor der Laden nach der Mittagspause wieder aufmachte, hineingehen und noch ein paar Bücher klauen musste, um sie Picquart zu verkaufen. Er hatte seit dem gestrigen Frühstück nichts mehr gegessen, und der Hunger verdrängte jeden Gedanken.
Scramsfields dritter und hauptsächlicher Trost jedoch war Phoebe. Sie hatte ihn nach Paris geschickt, damit er Schriftsteller wurde. Und nun, da der Armenier wegen dieser Schecks im Gefängnis saß, konnte er sich wieder ganz der Schriftstellerei widmen. Kein Geld und keine Ablenkung war besser als Geld und Ablenkung. Sein Vater hatte Geld und Ablenkung. Geld und Ablenkung konnte jeder haben. Das war das Entscheidende.
An jenem milden Apriltag traten kurz nach ein Uhr zwei Frauen an die Tür von Shakespeare and Company, betrachteten eine Weile die Bücher im Schaufenster und wollten dann eintreten. Es war abgeschlossen, aber sie versuchten es weiter, als dächten sie, die Tür werde schon einsehen, wie ungezogen sie war, und sich eines Besseren besinnen. Scramsfield putzte sich mit einer Serviette die Vorderzähne blank, dann stand er auf, eilte auf die Frauen zu, verlangsamte den Schritt zu einem Schlendern, bevor er nah genug war, bemerkt zu werden, und ging dann vorüber. Ein paar Schritte weiter blieb er wie in nachträglicher Fürsorge stehen, drehte sich um und sagte: »Sie suchen Sylvia? Sie macht erst um zwei auf.«
Und da stieg sie ihnen in die Gesichter, wie immer, diese tiefe, fast fleischliche Erleichterung: die klägliche Dankbarkeit der Touristen, die eine freundliche amerikanische Stimme hören, ein ehrliches amerikanisches Gesicht sehen, einen Verbündeten im Kampf gegen die Verschwörung der Kellner und Hotelportiers und Flics und Taxifahrer und Bettler und Verkäufer und Zugschaffner. Die eine der Frauen war jung, blond, von annehmbarem Aussehen, aber ihre Züge waren leicht verrutscht
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