Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
wie schlecht aufgehängte Bilder; die andere war älter, wurde schon grau, sah der jüngeren aber nicht ähnlich genug, um deren Mutter zu sein; vielleicht war es die Tante, wahrscheinlicher noch die Gouvernante. »Oh«, sagte die Ältere. »Danke schön. Wer ist Sylvia?«
»Sie kennen Miss Beach nicht? Das ist ihr Laden. Sie ist Amerikanerin, aber die Franzosen machen über Mittag zu, also tut sie es auch.«
»Wirklich sehr ärgerlich. Wir wollten Ulysses kaufen.« Sie sprach mit einem vornehmen Bostoner Akzent, der dem Scramsfields nicht unähnlich war.
»Da haben Sie sich eine gute Woche ausgesucht. Eben ist die fünfte Auflage erschienen. Jimmy ist ganz hin und weg. Endlich haben sie die meisten Rechtschreibfehler beseitigt, sagt er. Bei Rechtschreibfehlern ist er penibel.«
»Jimmy?«
»Jimmy Joyce«, sagte Scramsfield, als läge das auf der Hand.
Die ältere Frau tauschte einen Blick mit der jüngeren aus. »Sie kennen Mr Joyce?«
Scramsfield zuckte die Achseln. »Natürlich. Jimmy kennt in Paris doch jeder. Ich habe erst gestern Abend mit Sylvia und ihm gegessen. Er hat noch immer in ganz Paris kein Restaurant gefunden, das er erträgt.« Dann, mit einem irischen oder zumindest schottischen Akzent: »›Ich hab schon Kopfschmerztabletten genommen, die blutiger waren als dieses Steak!‹« Beide Frauen lachten entzückt, und da sah Scramsfield, wie die jüngere einem Pudel, den sie in der Handtasche trug, den Kopf streichelte, nur dass der Pudel winzig, kahl und grün war, ein weißes Spitzenhäubchen trug und daher wohl kein Pudel sein konnte, obgleich er wusste, dass er zum Halluzinieren noch nicht annähernd hungrig genug war. »Nun, grüßen Sie mir Sylvia, wenn Sie sie sehen«, sagte er und zog den Hut, während zwei kleine Jungs mit Lockenköpfen und Matrosenanzügen mit Stöcken Fahrradreifen an ihnen vorbeitrieben.
»Sehr gern«, sagte die Ältere. Dann, als Scramsfield sich zum Gehen wandte, rief sie ihm nach: »Oh, aber ich glaube, Sie haben uns noch gar nicht verraten, wie Sie heißen.«
Scramsfield drehte sich zum zweiten Mal um, strahlend und mechanisch wie eine Revuetänzerin. »Stimmt. Wie dumm von mir. Herbert Wolf Scramsfield.«
»Sehr erfreut, Mr Scramsfield. Ich bin Margaret Norb, und das ist meine Nichte Elisalexa Norb.«
»Und das ist Mordechai«, sagte Elisalexa, packte ihren Leguan am Hals, zog ihn aus der Handtasche und hielt ihn Scramsfield hin. »Er möchte Ihnen die Hand geben.«
Das Reptil wand sich verzweifelt, mit flehendem Blick, aber Scramsfield streckte ungerührt die Hand aus und nahm einen der Klauenfüße zwischen Daumen und Zeigefinger. Vom Unterkiefer des Tieres hing ein langer gelber Hautlappen herab, der aussah wie ein leerer Affensack. »Sehr erfreut, Mr Mordechai«, sagte Scramsfield feierlich.
Kurz darauf nahmen sie alle zu einem gemeinsamen Mittagessen im Beau Manchot an der Rue des Saules Platz, und Scramsfield erzählte den Frauen von seiner Zeit als Krankenwagenfahrer beim italienischen Militär und von seiner ersten Begegnung mit Hemingway. »Was Hem von damals erzählt, darf man nicht glauben. Er behauptet, dass er mir in Schio das Leben gerettet hat. Es war natürlich andersherum. Aber der einzige verlässliche Zeuge war Sidney Howard, und der lebt nicht mehr.« Als die halbgare Forelle serviert wurde, achtete Scramsfield sorgfältig darauf, nicht durch hastiges Essen zu verraten, wie ausgehungert er war; er erinnerte sich nur zu gut, wie er einmal in besonders verzweifelter Lage eine halbe gebackene Zitrone verschluckt und das ganze Restaurant mit einem schrillen Schockjaulen, einem opernhaften Lamento verblüfft hatte. Das Thema der gemeinsamen Heimatstadt hatten sie bald abgehakt, und Scramsfield war erleichtert, als feststand, dass die Norbs seine Eltern nicht kannten. »Und Phoebe kennen Sie auch nicht? Wirklich schade. Sie ist meine Frau. In ein paar Wochen kommt sie her, um mir Gesellschaft zu leisten.«
Elisalexas Vater produzierte Rohstoffe für die chemische Industrie: Schwefelsäure, Chlorwasserstoffsäure, Salpetersäure und so weiter. Die ersten Jahre der Weltwirtschaftkrise habe er mit Massenentlassungen überstanden, erklärte Margaret, und weil ein paar arme Schlucker sich auf die Fässer gestürzt hätten, habe Mr Norb dafür gesorgt, dass es bei der zweiten Entlassungswelle ein Auffangnetz gab. Diese Art Logik in der Firmenleitung und die Tatsache, dass er Staatsanleihen allen Aktienanlagen vorzog, hätten dazu geführt, dass der
Weitere Kostenlose Bücher