Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
starrten ihn ein paar der obszönen bemalten Masken aus Blumsteins berüchtigter Studententheaterproduktion von Der Sturm an, von der immer alle behaupteten, sie gesehen zu haben, obwohl sie vor zwanzig Jahren nur zwei Aufführungen in einem Theater von der Größe eines Iglus erlebt hatte. »Bringen wir das rasch hinter uns.«
»Du kommst ja wirklich nicht zum ersten Mal zu mir, um an unserem gemeinsamen Freund herumzunörgeln«, sagte Blumstein. »Wenn ihr einander nach dem ›Teleportationsunfall‹ vergeben konntet, dann könnt ihr es jetzt auch.« Er ließ sich in einen der eckigen Gugelhupf-Sessel sinken und bot Loeser auch einen an, aber Loeser blieb stehen.
»Diesmal bin ich nicht nur zum Jammern gekommen. Ich meine es ernst. Er hat mich betrogen.«
»Wie das?«
»Du musst nicht jedes schmutzige Detail erfahren. Worauf es ankommt, ist, dass wir nicht länger zusammenarbeiten können. Aber auf dem Weg hierher ist mir klar geworden, dass es besser so ist. Hast du in diesen letzten paar Monaten mal gehört, was er redet? Plötzlich will er unbedingt, dass Lavicini von den Scheiß-Nazis handelt. Der Neue Expressionismus verschwendet seine Zeit nicht mit Politik. Darüber waren wir uns einig.«
»Darüber waren wir uns 1929 einig«, sagte Blumstein.
»Und?«
»Äquivalenz in allen Ehren, aber die Dinge verändern sich. Ist dir überhaupt aufgefallen, dass sie in der vergangenen Woche das Bauhaus geschlossen haben? Über solche Dinge kann man mit dir kaum reden, weil du keine Zeitung liest, aber in Zeiten wie diesen will mir scheinen, dass man als Künstler in der Verantwortung steht.«
»Ich bin ganz deiner Meinung. In einer Zeit, da die Berliner Luft noch mehr mit politischem Gerede verschmutzt ist als sonst, sollten wir unser Publikum mal tief durchatmen lassen.«
»Wenn du wüsstest, wie sie über die Juden reden …«
»Was würde ich dann glauben? Dass ihr alle morgen früh von Verbrechern zusammengetrieben werdet?«
»Nein, natürlich nicht, aber …« Blumstein unterbrach sich und klopfte ihm vier oder fünf Mal traurig mit der rechten Hand auf die linke Schulter. »Ich wollte es dir noch nicht sagen, Egon, aber Adolf und ich haben an unserem eigenen kleinen Projekt gearbeitet.«
»Wie meinst du das?«
»Einfach nur ein kleines Stück über das, was in Deutschland vor sich geht. Heute, nicht Ende des 17. Jahrhunderts. Etwas, das wir innerhalb von ein paar Monaten schreiben und auf die Bühne bringen können und das die Menschen wirklich sehen wollen.«
Loeser war so schockiert, dass ihm nichts Besseres einfiel als zu fragen: »Wer macht das Bühnenbild?«
»Es gibt kein Bühnenbild. Nur schwarze Vorhänge. Genau wie nach dem Krieg.«
Loeser dachte an alles, was er von dem Älteren gelernt hatte und was er ihm zu verdanken hatte. Das entschuldigte nichts. »Also geben wir Lavicini nach Jahren der Arbeit auf?«
»Es gibt keinen Grund, das Projekt Lavicini in der Zukunft nicht wieder aufzunehmen, aber in der gegenwärtigen Lage –«
»Ach, zum Teufel damit.«
Blumstein sprang auf und lief Loeser hinterher. »Du musst das bitte verstehen, Egon. Gut möglich, dass ich mit allem falschliege, ich hoffe es sogar – aber im Augenblick habe ich das Gefühl, dass es sein muss.«
Doch Loeser lief davon, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, und so war die einzige Antwort, die Blumstein erhielt, der weiche doppelte Aufschlag eines jungen Sperlings, der sich an der Glaswand des Hauses den Schädel einschlug und dann ins Petunien-Beet fiel.
Als Loeser an diesem Abend im Schwanneke eintraf, war es im Restaurant voll, aber zum Glück war fast niemand da, den er kannte. Er fragte sich, ob Adele Eiscreme von seinem Löffel schlecken würde. Auf dem Nachhauseweg hatte er sich eingeredet, dass die Ereignisse des Tages alle nicht wirklich zählten – Rackenham nicht, auch nicht Marlene oder Blumstein –, denn heute Abend würde er mit seinem Hauptgewinn dinieren. Aber dann musste er wieder an die Party in Puppenberg denken und die Abgründe seiner Enttäuschung, und er kam zu dem irrationalen Schluss, dass er nur sicherstellen konnte, dass sie kam, indem er sich davon überzeugte, dass sie nicht kommen würde. Während er sich also anzog und das Monate alte Bettzeug wechselte, sagte er sich immer wieder, dass sie nicht kommen würde, dass sie ganz bestimmt nicht kommen würde, dass sie garantiert ganz bestimmt nicht kommen würde.
Und dann kam sie nicht.
Loeser wartete anderthalb Stunden lang,
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