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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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Scramsfield. »Ein kleines Missverständnis. Danke für die Warnung, Kumpel. Ich gehe ihn gleich suchen und erzähle ihm, was wirklich los war, und dann lachen wir zusammen darüber. So einfach ist das.«
    »Das hoffe ich. Ich hoffe es für dich.«
    Vor dem Flore blickte Scramsfield sich um, doch zu seiner Erleichterung war vom Armenier nichts zu sehen, da waren nur zwei kleine lockenköpfige Jungs in Matrosenanzügen, die eine tote Tigerkatze mit Stöcken malträtierten. Er fand, es wäre das Beste, eine Zeit lang aus Paris zu verschwinden. Ein schöner Spontanurlaub auf dem Land, ein, zwei Monate höchstens, um an seinem Roman zu arbeiten, bis der Armenier sich beruhigt hatte (oder wieder im Gefängnis saß). Eigentlich sprach nichts dagegen, Loeser eine Nachricht über das Mädchen zu hinterlassen, bevor er in den Zug stieg. Aber dann würde Loeser ihm das Steak nicht ausgeben können. Nein, er würde ihm lieber alles nach seiner Rückkehr erzählen. Paris war herrlich um diese Jahreszeit. Es würde Loeser nicht schaden, ein wenig zu warten.

TEIL 2
    Zehn Nadeln
in einer Karte

4
    LOS ANGELES, 1935
    Chateau Marmont
    Der glitzernde Widerschein eines Sonnenstrahls in dem Wassertropfen, der sich, im Wind zitternd, an den dünnen blauen Nylonstoff eines Badeanzugs klammerte, gerade dort, wo jener sich am straffsten über den Venushügel einer Rothaarigen mit Schildpatt-Sonnenbrille spannte, die auf einem Liegestuhl am ovalen Pool des Chateau Marmont am Sunset Boulevard lag und eine Zigarette rauchte: Das war Loeser, wie er am Morgen nach seiner Ankunft in Los Angeles in Unterhosen am Fenster seines Hotelzimmers stand. Auch er hing in diesem Wassertröpfchen, alle Variablen seines Begehrens eingeschrieben in die Koeffizienten der Oberflächenspannung, mehr als bereit, sollte das Wasser in der von der Sonne verdoppelten Wärme der Haut verdunsten, es ihm nachzutun. Dann bemerkte die Rothaarige ihn, und er hechtete so schnell außer Sicht, dass er sich fast den Knöchel verstauchte.
    Hatte Loeser jemals Sex gehabt? Vermutlich schon, so glaubte er zumindest, aber die Erinnerung daran war so schwach geworden, dass er sich fast schon fragte, ob ihm nicht nur irgendjemand einmal Sex beschrieben hatte und er diese Beschreibung mit der Zeit fälschlich als eigene Erfahrung abgespeichert hatte, wie man es manchmal mit Kindheitserlebnissen tat. Inzwischen konnte er seine sexuelle Frustration ebenso wenig bemessen, wie er sein eigenes Hirn wiegen konnte. Es war nicht auszuschließen, dass sie alles bestimmte, was er sagte und tat. Man konnte sich da unmöglich sicher sein. Sie war viel zu sehr ein Teil von ihm. Anders als sein Penis, den er inzwischen als eine Art undankbaren Anhalter betrachtete, als albernes Vestigium.
    Er setzte sich aufs Bett. Da er eine Zeit lang nicht wieder ans Fenster durfte, befand er, dass er den Stundenzeiger ebenso gut auf Mitternacht in der Schwesternschule vorrücken lassen konnte. Obwohl er nicht vorgehabt hatte, länger in Paris zu bleiben, hatte er sich nicht einen Tag lang von dem Fotoalbum trennen mögen, also hatte er es vor seiner Abreise aus Berlin eingepackt, und nun hatte es ihn unerwarteterweise bis nach Amerika begleitet. Gestern Abend war er so spät angekommen, dass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, auszupacken, also musste es sich noch im Koffer befinden – der aufgegurtet neben dem Bett auf dem Fußboden lag wie ein mit offenem Mund umgekippter Betrunkener –, versteckt zwischen seinem zweitliebsten und seinem drittliebsten weißen Hemd.
    Nur dass er bald entdeckte, dass dem nicht so war.
    In einem Anfall überströmender Panik, nicht unähnlich jener, die vor langer Zeit den Verlust Adele Hitlers in der Korsettfabrik begleitet hatte, riss er eine Sache nach der anderen aus dem Koffer, bis nichts mehr da war, das er in die Luft hätte werfen können, und dann fing er an, wie ein Idiot am Innenfutter zu kratzen. Es war weg. Dabei wusste er genau, dass er das Buch an jenem letzten Nachmittag in seiner Dampferkabine eingepackt hatte. Und er war sich ganz sicher, dass er es seither nicht ausgepackt hatte. Nur ein einziges Mal hatte er seinen Reisebegleiter aus den Augen verloren, als er im Hafen von New York durch den Zoll musste, unmittelbar bevor er auf einem Fragebogen versicherte, nicht an Lepra, Geistes- oder Geschlechtskrankheiten zu leiden, seinen Lebensunterhalt nicht mit Prostitution zu verdienen und keinen Mordanschlag auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu

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