Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Werden Sie dafür bezahlt? Komische Freundschaft.«
»Ich bin nur zufällig vorbeigekommen …«
»Nein, das sind Sie nicht. Ich habe Sie in dem Café sitzen sehen. Wollen Sie mir etwas verkaufen? Sie sehen ganz danach aus.«
Scramsfield war verblüfft. »Ich bin kein Hochstapler, falls Sie das andeuten wollen.«
»Ich wollte nichts derart Glamouröses andeuten. Aber wenn Sie sich selbst so betrachten … Sie haben wohl gehofft, dass ich ein reicher Amerikaner bin?«
»Hören Sie mal, ich bin in Paris ein angesehener Mann …«
»Ach ja?«
»Ja.« Scramsfield richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Der einzige Mann, den ich in Paris nicht kenne, ist der Mann, bei dem ich einen anständigen amerikanischen Haarschnitt bekommen kann.« Aber diesmal kam der Witz nicht richtig heraus, und es klang, als wollte er mit dieser Beschreibung die Existenz eines spezifischen Individuums bestätigen, mit dem Bekanntschaft zu pflegen er für anrüchig halte.
»Ich verstehe. Wenn das so aussieht – ist Ihnen jemals eine Adele Hitler über den Weg gelaufen?«
Der Name kam Scramsfield bekannt vor, aber ausnahmsweise wollte er es diesmal nicht übertreiben. »Ich glaube nicht. Wer ist das?«
»Ein reiches Mädchen, das ich aus Berlin kenne. Hübsches kleines Biest. Ist nach Paris durchgebrannt, also habe ich mich ihren Eltern vorstellen lassen und sie überredet, mir Geld zu geben, damit ich herkomme, sie aufspüre und nach Hause bringe wie Urashima Tar ō .«
»Haben Sie sie gefunden?«
»Ich habe ungefähr drei Minuten lang herumgefragt, dann wusste ich, dass sie nicht mehr in Paris ist. Sie hat offenbar beschlossen, nach Los Angeles weiterzureisen. Aber das habe ich den Eltern noch nicht erzählt, weil sie für meine Unkosten aufkommen. Ich glaube, ich kann die Sache noch ungefähr eine Woche in die Länge ziehen. Ich bin nämlich ebenfalls eine Art Nassauer, wissen Sie. Das ist keine Schande, wenn man das Spiel überzeugend spielt. Was Sie nicht tun, wie ich fürchte.«
»Wenn Sie wissen, wo sie ist, warum erkundigen Sie sich dann weiter nach dem Mädchen?«
»Man hat mir gesagt, sie habe nicht genug Geld gehabt, sich das Gepäck nachschicken zu lassen«, sagte der Engländer. »Es ist also noch in Paris. Aber offenbar weiß niemand, wo.«
»Was wollen Sie mit ihrem Gepäck? Es zurück an die Eltern schicken?«
»Nein. Gestern Abend habe ich im Strix einen gewissen Spross des Hauses Grimaldi kennengelernt, der Miss Hitler in Paris nähergekommen war, sie aber nicht hatte überreden können, mit ihm hierzubleiben. Er bietet mehrere Tausend Francs für eine Packung ihrer ungewaschenen Höschen.«
Scramsfield kratzte sich am Ohr. »Ach, wirklich? Nun, es war mir ein Vergnügen. Ich muss jetzt wirklich wieder … äh, ich muss jetzt eben.«
Scramsfield war erleichtert, die Begegnung hinter sich zu haben, und kehrte wieder an seinen Tisch im Café zurück. Ein paar Minuten darauf sah er einen zweiten Mann vor Shakespeare and Company haltmachen und den Engländer begrüßen, mit dem er sich gerade unterhalten hatte. Sie umarmten einander und schlenderten davon, und da fiel Scramsfield wieder ein, wo er den Namen Adele Hitler zum ersten Mal gehört hatte.
Nachdem ihre Wege sich in Picquarts Wohnung getrennt hatten, hatte Scramsfield eigentlich nicht erwartet, Egon Loeser je wiederzusehen. Er unterhielt nicht gern Freundschaften mit Menschen, die ihn in seinen düstersten Momenten erlebt hatten. Aber wenn er Loeser auftreiben und ihm berichten konnte, dass Adele Hitler nach Los Angeles gefahren war, dann würde der Deutsche ihm, Scramsfield, mindestens ein Steak ausgeben. Oder wenigstens ein paar Gläser Cognac. Und ausnahmsweise würde Scramsfield dafür nicht einmal lügen müssen.
Zuerst suchte er im Flore nach Loeser. Aber das Lokal war fast leer, und er wollte eben weiter ins Zellis, da klopfte ihm jemand auf die Schulter. Der Pfefferminzgeruch war so stark, dass er Dufrène erkannte, bevor er sich umgedreht hatte.
»Hallo, Fabrice.«
»Scramsfield, pauvre con, was erzählt der Armenier da über dich und die Schecks?«
»Der Armenier?«
»Jemand hat sein Kaution gezahlt. Er kommt dich suchen. Er sagt, es ist deine Schuld, dass er überhaupt im Gefängnis gelandet ist.«
»Lächerlich. Das war einfach Pech. Ich habe getan, was ich konnte.«
»Dann du sagst ihm das am besten. Er ist nämlich sauer. Er wird dich umbringen, sagt er. Er wird dir die Eier abreißen, sagt er.«
Wie passend, dachte
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