Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Drabsfarben sich nie stehlen lassen.
Dann wiederum hatte Loeser gehört, dass viele ausländische Schriftsteller sich nach der Ankunft in Hollywood blockiert fühlten. Also war Drabsfarben hier draußen vielleicht auch die Inspiration ausgegangen, und er versuchte zum ersten Mal, eine Frau als Muse einzusetzen. Auf Dolores Mutton ließen sich gewiss Symphonien verfassen; allein ihr Dekolleté war ein Scherzo wert. Und so unglaubwürdig das alles klingen mochte, Loeser hatte gehört, was er gehört hatte. Die eigentliche Frage lautete, ob er es Stent Mutton erzählen sollte. Sicher, der Mann war ein verachtenswerter Betrüger. Er hatte Loeser angelogen, wenn auch auf eine Weise, die Loeser nicht wirklich erklären konnte. Aber seine Bücher liebte Loeser noch immer. Dass er die Wahrheit über Mutton kannte, ließ dessen Figuren kein bisschen weniger echt wirken; vielleicht wirkten sie jetzt sogar echter, denn wenn man sie nicht mehr als reine Entsprechungen ihres Autors verstehen durfte, konnten sie nur Spontangeburten mit einer Art unerklärlichem Eigenleben sein. Und was ein Stent-Mutton-Held in solch einer Lage tun würde, war überhaupt keine Frage. Er würde einfach rübergehen. Das Nötige sagen. In ganz kurzen Sätzen.
Loeser ging zurück zum Haus und fand Stent Mutton auf der Terrasse am großen Barbecue-Grill.
»Sie haben etwas Passendes gefunden, wie ich sehe.«
»Ja. Hören Sie, Mr Mutton, ich muss vertraulich mit Ihnen reden.«
»Worum geht es?«
»Es ist sehr wichtig.«
Mutton folgte ihm ein paar Schritte hügelan, weg von den Gästen, vor ein Tribunal aus Grillen.
»Also?«
»Gerade eben, beim Umziehen, habe ich ein Gespräch in Ihrem Schlafzimmer mitgehört. Zwischen Ihrer Frau und Jascha Drabsfarben, einem alten Freund von mir aus Berlin. Ich glaube, sie haben eine Affäre.«
»Wie bitte?«
Loeser schwante bereits, dass er diesmal noch mehr Unruhe stiften würde als bei seinem letzten Lauschangriff auf Drabsfarben, aber es gab kein Zurück mehr. Außerdem war da etwas an einem Gespräch dieser Art, das ihm das Gefühl gab, richtig authentisch und männlich zu sein. »Ihre Frau betrügt Sie mit Drabsfarben«, sagte er. »Ich habe genug gehört, um mir da sicher zu sein, und fand, dass Sie verdienen, es zu erfahren.«
»Ist das wieder so eine Komikernummer?«
»Nein, Mr Mutton. Ich meine es völlig ernst.«
Mutton seufzte. »Das ist das Problem, wenn man ein Mädchen wie Dolores heiratet. Die meisten Männer wüssten gar nicht, was sie tun sollen, wenn sie so viel Schönheit ganz für sich hätten, also können sie auch nicht glauben, dass es mir anders geht. Sie denken, ich müsse ihr erlauben, sie ein wenig zu teilen. Aber meine Frau, Mr Loeser, ist mir wirklich ergeben. Sie ist nicht vollkommen, und das bin ich weiß Gott auch nicht. Aber wir lieben einander tiefer denn je. Nichts, ich meine wirklich nichts, könnte sie dazu verführen, mich mit einem anderen Mann zu betrügen. Wenn ich mir einer Sache sicher bin, dann dieser. Sie irren sich. Und ich lege Ihnen dringend nahe, diese Party zu verlassen, statt weiter zu lauschen.«
Wilbur Gorge war vermutlich genauso selbstsicher, dachte Loeser, und trotzdem bürstete Rackenham seine Frau. Wenn das Leben ihn etwas gelehrt hatte, dann, dass alle mit allen schliefen, wie sie wollten, immerzu, und es war naiv, darauf zu hoffen, dass es anders sei. »Wenn Sie gehört hätten, was ich gehört habe …«
»Was Sie gehört haben wollen, ist mir gleich. Bitte verlassen Sie mein Haus. Ich meine es ernst.«
Loeser zögerte.
»Was denn noch?«, sagte Mutton.
»Es ist nur, dass ich kein Auto habe, und Ihre Frau hat gesagt, Ihr Butler könnte mich zurück ins Chateau Marmont fahren.«
»Adieu!«, fauchte Mutton. Dann drehte er sich um und gesellte sich wieder zu seinen Gästen.
Es war fast zehn. Loeser wusste, dass er nicht zu Fuß zurück nach Hollywood gehen konnte, wenn er nicht den Rest seines Lebens im Rollstuhl zubringen wollte, also beschloss er, sich an den Sunset Boulevard zu stellen und ein Taxi anzuhalten. Er hatte all sein Bargeld in der nassen Hose gelassen, die noch im Bad der Muttons auf dem Handtuchhalter hing, aber er konnte im Chateau Marmont etwas aus dem Zimmer holen. Doch auch nach langem Warten hatte er noch immer kein einziges freies Taxi gesehen, und die Autos fuhren wahrscheinlich sowieso zu schnell, als dass ein Fahrer ihn hätte sehen und anhalten können. Er würde einfach die Straße überqueren und in dem Diner,
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