Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
das er auf der Ostseite des Sunset Boulevard erspähen konnte, darum bitten, dass man für ihn bei einem Taxiunternehmen anrief.
Loeser versuchte es mehrere Male, und jedes Mal war er noch nicht halb über den Burggraben aus Asphalt, da sah er ein dieselgetriebenes Megalodon, das sich hungrig auf ihn stürzen wollte, und musste sich wieder mit einem Sprung ans Ufer in Sicherheit bringen. Und natürlich war in beiden Richtungen nichts von einem Fußgängerüberweg zu sehen. Aber was sollte er sonst tun? Er stand auf dem Gras und spürte knirschend die Verzweiflung in sich aufsteigen, da sah er ein harmlos wirkendes grünes Auto, das sich aus östlicher Richtung auf der Zufahrtsstraße näherte. Er hielt den Daumen raus und versuchte, respektabel zu wirken.
Der Wagen hielt neben ihm an und der Fahrer kurbelte das Fenster herunter. »Wollen Sie mitfahren?«
»Ich muss nach Hollywood.«
»Ich fahre bis nach Los Feliz durch.«
Der Fahrer beugte sich herüber, um die Tür auf der Beifahrerseite zu öffnen.
Loeser räusperte sich. »Ich muss eigentlich hinten sitzen.«
»Wie bitte?«
»Ich kann nur in einem Privatauto mitfahren, wenn ich so tue, als wäre es ein Taxi.«
»Bezahlen Sie mich?«
»Nein.«
Der Fahrer zuckte mit den Schultern. Er besaß die tiefste Kinnspalte, die Loeser je gesehen hatte. »Wie Sie wollen, Kumpel.«
Also stieg Loeser hinten ein. Und obwohl er sich diesen Luxus gönnte, fühlte er sich nicht wohl genug, um Konversation zu machen; deshalb blickte er bloß aus dem Fenster. Bald kamen sie an den gleichen Totems am Straßenrand vorüber, die Loeser auf dem Herweg schon gesehen hatte, großen Würsten und Zitronen und Häschen und Zuckerstangen und Cowboyhüten aus Pappmaché, die verschiedene Drive-In-Angebote für die Anspruchslosen bewarben. Im Licht der Nachmittagssonne hatten sie platt, primitiv, lächerlich gewirkt, aber wie sie sich jetzt, bei Nacht und hell von unten angestrahlt, bei 40 Meilen die Stunde so im Blickfeld auftürmten, hatten sie eine Art von verschwommenem Hünengrab-Glanz angenommen. Vielleicht hatte Achleitner recht gehabt, dachte Loeser angeekelt, und Kempinskis Haus Vaterland war wirklich die Zukunft. Ganz Kalifornien war nichts als eine Kempinski-Kolonie, ein zur Republik aufgeblasener Vergnügungskomplex. Aber dann wurde ihm klar: Wenn die ganze Kundschaft in Autos vorbeiraste, musste man natürlich sicherstellen, dass sich das eigene Gewerbe in Sekundenschnelle aus der Ferne erfassen ließ. Daher diese Kindereien. Ihm fiel wieder ein, was Wagner seiner Frau hundertfünfzig Jahre nach Lavicinis Tod von einer Venedigreise geschrieben hatte: »Alles kommt einem wie eine wunderbare Theaterdecoration vor. Der Hauptreiz für mich besteht darin, dass mir Alles doch immer so fremd bleibt, als ob ich eben nur im Theater wäre; ich hüte mich vor jeder Bekanntschaft und bleibe daher immer in der Stimmung.«
Billige Bücher
Loeser schloss rasch die Tür hinter sich, um den Laden nicht mit Sonnenlicht oder frischer Luft zu verunreinigen.
»Waren Sie gestern im Nickel’s?«, sagte Blimk.
»Nein. Aber ich habe Stent Mutton kennengelernt.« Als er gestern Abend endlich im Bett gewesen war, hatte ihm vor Müdigkeit bereits das Schließen der Augen ein Gefühl des Fallens gegeben, als würde ein Stuhlbein unter ihm wegbrechen. Heute Morgen hatte er lange geschlafen. Er hatte eine Weile lesen wollen, aber der einzige Roman, den er mit nach Amerika gebracht hatte, war Berlin Alexanderplatz , und obwohl es ihm nach dreihundertneun Seiten so vorkam, als käme die Erzählung langsam in Fahrt, fand er, dass er etwas Potenteres brauchte, um sich von den Frauen am Pool abzulenken, also war er wieder in den Laden gegangen.
»Was ist das für einer?«
Loeser wollte Blimk gerade die schreckliche Wahrheit über Stent Mutton erzählen, da fiel ihm ein Taschenbuch auf einem nahen Stapel ins Auge, und er musste es geradezu unwillkürlich in die Hand nehmen. Der Titel lautete Frauenzimmer! Und wie man sie flachlegt, der Autor hieß Clark Snable, und den Umschlag zierte die kindlich unbeholfene Zeichnung einer nackten Frau in einem Bett, dessen zerwühlte Laken den Blick auf eine riesige Brust freigaben, mit einer Brustwarze, die nach oben und außen gerichtet war, als führe sie die Zugbahn des Mondes nach. »Haben Sie es satt, sich wie ein eherner Trottel zu fühlen?«, fragte die Rückseite. Loeser hatte es ganz eindeutig satt, sich wie ein eherner Trottel zu fühlen. »Wollen Sie
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