Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Sein Auftreten ist freundlich, sein Betragen von fast selbstironischer Einfachheit, seine Persönlichkeit, seine Zurückhaltung, Kraft und Selbstbeherrschung sind stark ausgeprägt. Seine braunen Augen sind außerordentlich sanft und gütig. Jedes Kind würde gern auf seinem Schoß sitzen, jeder Hund seine Gesellschaft suchen.« Loeser wollte den Artikel ausschneiden und ihn Hecht schicken. Nur dass Hecht kaum noch Kommunist sein konnte, wenn er hier draußen lebte und bei einem Filmstudio 500 Dollar die Woche verdiente. Oder?
Er beendete sein Frühstück und trat auf den Sunset Boulevard hinaus, wo ein Leichenwagen so langsam die Straße hinunterfuhr, dass es aussah, als hätte einfach nur jemand vergessen, die Handbremse anzuziehen. Die Luft roch nach pasteurisiertem Honig. Er wollte heute die Besetzungsbüros überreden, ihm zu verraten, ob sie jemanden in der Kartei hatten, auf den Adeles Beschreibung passte. Wenn er sie nach dreißig Tagen nicht gefunden hatte, würde er aufgeben und heimreisen. Länger würde er es hier nicht aushalten. Nichts durfte ihn davon abbringen. Ein Monat, dann wieder nach Berlin.
5
LOS ANGELES, 1938
Loesers Haus
Als Loeser hereinkam und den Lippenstift auf seinem Schreibtisch liegen sah, wurde ihm bewusst, dass er nun schon drei Jahre lang mit seinem Gespenst lebte, und ganz wie der Gatte in einer arrangierten Ehe kannte er es noch immer nicht richtig. Er legte die drei Briefe ab, die er aus dem Briefkasten geholt hatte, nahm den Lippenstift und trug ihn zu der antiken Truhe, in der er alles aufbewahrte, was das Gespenst bei ihm zurückließ. Nur einmal hatte das Gespenst sich etwas wiedergeholt: eine Perlenkette, die er unter dem Sofa gefunden hatte. Vielleicht hatte es sich eines Besseren besonnen und wollte nicht mehr, dass er sie behielt – falls diese Dinge tatsächlich Geschenke waren und nicht, wie er langsam glaubte, einfach Dung, Ausscheidungen.
Sein Gespenst machte ihn leichtgläubig. Als er im vergangenen Jahr vor einer Party in der Nähe des Hauses der Muttons am Strand spazieren gegangen war, hatte er in der Ferne seltsam verstreute weiße Häufchen erspäht, wie ein Schwarm Möwenküken, die sich im Sand ausruhten. Als er näher kam, sah er, dass es Kondome waren, Tausende, alle noch immer schleimig gebläht, wie um einen unsichtbaren Penis gezogen. Da lag aller Sex, den er in seinem Leben nie gehabt hatte, dachte er, die kontrafaktischen Gummigeister all seiner verpassten Chancen und Beinahe-Erfolge, die ihn heimsuchten und verspotteten wie die Reizwäsche, die seine Untermieterin ihm ins Haus trug. Wenn er das nächste Mal mit einem hübschen Mädchen sprach, dann würden sie da sein, würden sich schmatzend um seine Schuhe winden, sich ihm die Hosenbeine hinaufschlängeln und sich wie riesige Maden mit einem Bauchklatscher in sein Weinglas werfen. Wütend trat er auf eines, und es fiel mit einem Furzgeräusch in sich zusammen. Sein Hausgespenst sah bestimmt nicht so hässlich aus, falls es überhaupt eine Form hatte. Erst später auf der Party erzählte ihm Stent Mutton, dass es weiter oben am Strand einen versteckten Abwasserkanal gab und alle paar Monate nach einer Samstagnacht ein Rohr von verklumpten Kondomen verstopft wurde, bis es sie alle auf einmal auf den Strand spülte, von Methan und Ammoniak gebläht. Also trug Loeser nur eine prophylaktische Spukgestalt in der Tasche, das Fromms in seiner Brieftasche, mit dem Ablaufdatum vom vergangenen April. Er beschloss, es in seiner Verpackung zu begraben.
Nein, Loeser hatte noch immer nicht mit einer Frau geschlafen. Er hatte die Hoffnung im Wesentlichen aufgegeben. Entschlossen konnte die Zeit an einem vorüberrasen – wie der Raum. Die Klöster am Berg Athos in Griechenland waren angeblich die heiligsten Orte der Welt, so hatte er gelesen, weil tausend Jahre lang keine Frau ihren Fuß auf die Halbinsel gesetzt habe, und er fand, diesem seltsamen Kriterium folgend sollte sein Schwanz als Reliquie in Ehren gehalten werden, gleichbedeutend mit den unversehrten sterblichen Überresten von Athanasius dem Großen. In der orthodoxen Kirche von Griechenland, zu der diese Klöster gehörten, gab es Bischöfe, die sagten, die Hölle, das sei einfach, ohne die Liebe Gottes zu sein; Loeser hatte die Vorstellung der Hölle als reinen Mangel nie ernst nehmen können, aber das Leben ohne Sex fühlte sich wie die Hölle an, und er hätte die ewige Liebe Gottes inzwischen sowieso mit Freuden gegen einen mittelmäßigen
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