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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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Ideen, wie er vielleicht Adele finden könnte, noch nicht ausgegangen –, und so entdeckte er erst, als er nach seiner Rückkehr am Abend gründlich das Schlafzimmer untersuchte, was das Gespenst ihm dagelassen hatte: ein paar schwarze Strümpfe, teuer, hinter das Kopfende seines Bettes gestopft wie die abgeworfenen Kokons zweier großer Zuchtseidenraupen. Er blieb so skeptisch wie möglich und versuchte, sich andere Erklärungen für seinen Fund einfallen zu lassen. Aber als er das Haus verlassen hatte, waren alle Türen und Fenster abgeschlossen gewesen. Es gab keine Geheimtunnel ins Haus. Ein menschliches Wesen hätte unmöglich hineinkommen können. Und von da an hörte er ungefähr ein Mal in der Woche das gleiche Klopfen und Kratzen, und alle paar Monate fand er an irgendeinem versteckten Ort einen Gegenstand, den das Gespenst ihm hinterlassen hatte. Die Hinterlassenschaften waren fast immer femininer Natur, und deshalb hielt er das Gespenst für eine Frau. Er wollte die Angelegenheit bei Woodkin nicht direkt zur Sprache bringen, damit dieser ihn nicht für verrückt hielt, aber hatte er dennoch überprüft, dass das Haus nie einen weiblichen Bewohner gehabt hatte, ermordet oder nicht.
    Waren Gespenster an Gebäuden verankert, fragte er sich manchmal, oder an räumlichen Koordinaten? Wenn er sein Haus auf Räder aufbocken und nach Venice Beach schleppen lassen würde wie das Haus, das er einmal auf dem Sunset Boulevard gesehen hatte, würde das Gespenst dann mitgeschleift werden oder würde es dumm versuchen, auf dem gleichen Stück Land herumzuspuken, obwohl es leer war? Wenn es Geisterschiffe gab, gab es dann auch Geisterstraßenbahnen? Konnte das Gespenst Scramsfields Verlobte sein, die er damals in diesem Museum in Boston erwürgt hatte? War sie durch irgendeine über den Champagner gesprochene rituelle Beschwörungsformel auf Loeser übergegangen?
    Er wandte sich der Post zu. Im ersten Umschlag steckte sein monatlicher Scheck vom Kalifornischen Komitee für kulturelle Solidarität. Der zweite Brief war von Achleitner. Der dritte war von Blumstein. Von dem Regisseur hatte er seit seiner Abreise aus Berlin nichts mehr gehört.
    Lieber Egon,
    vielleicht bist du überrascht, von mir zu hören. Der Bruch unserer Freundschaft ist nun schon so lange her. Nachdem Du meinen ersten & einzigen Versöhnungsversuch abgewiesen hattest, wäre es für uns beide nicht schön gewesen, wenn ich weiter insistiert hätte. Also habe ich unwillig beschlossen, Deine Wünsche zu achten. Wenn ich erklären soll, warum ich diese Haltung jetzt aufgebe, dann möchte ich es ohne eine melodramatische Phrase wie »letzte Chance« tun. Ich werde nur sagen, dass ich wirklich glaube, dass wir in Deutschland vor einer Zerreißprobe stehen, einem Abgrund unserer Geschichte. Von dieser Seite des Abgrundes aus kann ich noch zu dir sprechen. Ich kann unmöglich wissen, wie es sich von der anderen Seite aus verhält. Also schreibe ich Dir nun & hoffe, du vergibst mir den Brief.
    Vielleicht bist Du schon skeptisch. Ich weiß, Du hast nie an Politik geglaubt, auch nicht an Geschichte. Lange ging es mir ebenso. Also hat es keinen Sinn, noch einmal die nackten Tatsachen aufzuzählen, die Du schon aus der Zeitung kennen wirst, weil ich weiß, dass es nichts ändert. Ich denke, davon, dass meine Sorgen begründet sind, kann ich dich nur überzeugen, indem ich Dir etwas berichte, was mir gestern zugestoßen ist. Es hat mir den letzten Anstoß gegeben, Dir zu schreiben.
    Ich saß in einer Straßenbahn nach Schlingendorf. Es war mitten am Nachmittag, die Straßenbahn war ziemlich leer. Alle hatten sich gleichmäßig auf die verfügbaren Plätze verteilt, wie immer, damit niemand sich eine Armlehne mit einem Sitznachbarn teilen musste. Auch ein Mann in Naziuniform war dabei, es muss wohl ein Angehöriger der Schutzstaffel gewesen sein; er stand fast ganz vorn, obwohl es so viele freie Plätze gab.
    Die Straßenbahn hielt & ein Mann stieg ein. Er trug einen schäbigen Mantel, die Sohlen fielen ihm beinahe von den Schuhen, & er hatte eines jener Gesichter, die selbst in den Augen eines anderen Juden typisch jüdisch aussehen, fast wie eine Karikatur. Er warf dem Mann von der Schutzstaffel einen unbehaglichen Blick zu & ging dann an ihm vorüber, wobei er sich so verrenkte, dass man ihm nicht vorwerfen konnte, die Uniform des Mannes gestreift zu haben. Er setzte sich neben eine alte Frau mit ein paar Einkaufsbeuteln. Der Nazi beobachtete ihn eine Weile &

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