Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Blowjob eingetauscht. Er hatte sich angewöhnt, die linke Hand zur Faust zu ballen, wann immer er etwas sah, was seine Frustration wachrief: eine nackte Schulter, ein kicherndes Pärchen, eine Bademoden-Werbung in einer Zeitschrift. Als er sich dann eines Morgens im Spiegel betrachtete, bevor er ins Bad stieg, erschien ihm sein linker Unterarm deutlich muskulöser als der rechte. Entsetzt holte er ein Maßband und fand an der dicksten Stelle einen Unterschied von über einem Zentimeter im Umfang. Er ging zum Schreibtisch, durchwühlte seine Unterlagen, fand auf einem Durchschlag eines Einwanderungsformulars seine Unterschrift und setzte sie erneut darunter. Sein neues »Egon Loeser« wirkte klobig und unbeholfen. Die Begierde hatte seinen Körper entstellt. Keinen Scheck konnte er unterschreiben, ohne es sich einzugestehen. Es gab ein Sprichwort aus dem Venedig Lavicinis: »Die erste Sünde ist, verzweifelt geboren zu werden.«
Auch nach sieben Jahren dachte er noch viel an Marlene Schibelsky. Die Erinnerung an seine letzte Freundin schien ihn genauso hartnäckig um die Welt verfolgt zu haben, wie er Adele nachgejagt war. Zum Teil natürlich deshalb, weil sie die letzte und beste Frau war, mit der er geschlafen hatte, aber auch, weil Loeser anders als der Leser einer Biografie nicht die schöne Möglichkeit hatte, zu einem früheren Kapitel zurückzublättern, um sich an die Umstände seiner Trennung von Marlene zu erinnern, und so erlaubte er sich, die Geschichte zu etwas zusammenzuflicken, das ein wenig – nun, kummervoller und edler war, um sich aus Scramsfields Wortfeld zu bedienen. Erinnerungen waren schließlich immer unglaubwürdige Gespenster, schlechte Historienromane, so rein zweckmäßig und abgeschmackt wie Signor da Vinci in Der Zauberer von Venedig , so gruftig und grottig wie die Riesenfaultiere, die sie aus den Teergruben südlich des Chateau Marmont zogen. Und so hatte Loeser in schieläugiger Rückschau beschlossen, dass er Marlene geliebt hatte, dass er sich nicht wirklich hatte von ihr trennen wollen und es schließlich nur in der Hoffnung getan hatte, es sei für sie beide besser so. (Oder so ähnlich.) Seit seiner Abreise aus Berlin hatte er oft, und oft unerklärlicherweise, an die Männer gedacht, die sie vor und nach ihrer gemeinsamen Zeit gefickt hatte, Klugweil, die Kellner im Schwanneke und all die anderen. Der Gedanke daran tat ihm weh, auch wenn der Schmerz langsam seinen Stachel verlor und eine Kurve beschrieb, die ganz derjenigen gewisser stärkerer Schmerzen von früher glich. Es verwunderte ihn im Grunde, wie emotionslos, wie wissenschaftlich er seine ständige Gegenwärtigkeit belegen konnte, indem er auf spezifische Erinnerungen zurückgriff, als wären seine nostalgischen Gefühle ein Arzt, der einen in ein ausgekugeltes Gelenk zwickt und fragt: »Tut das weh? Und das?« Und der Schmerz fühlte sich tatsächlich so an, als säße er irgendwo im Oberkörper, auch wenn Loeser ihn nicht im Herzen verortet hätte, wie die anatomische Doktrin des Schlagers es vorsah, sondern gleich hinter der Lunge, wo er sich wie eine unerwünschte Drüse eingekuschelt hatte, verpflanzt aus einer besonders dolorösen Weichtierspezies (einem Geisterkondom in Muschelschale).
Einmal hatte Marlene ihm erzählt, wo sie mit »Jungs« hingegangen war, als sie noch bei ihren Eltern wohnte und es schwierig war, einen Ort zu finden, wo man miteinander schlafen konnte. Er hatte die Geschichte komisch finden sollen, und damals tat er das auch, aber heute musste er immerzu an das Wort denken, das sie verwendet hatte: »Jungs«. Sie meinte wahrscheinlich bloß zwei oder drei, aber das konnte er nicht wissen, und nach Lage der Dinge hätte sich selbst Cantor persönlich kein Unendliches vorstellen können, das groß genug gewesen wäre, diesen Plural zu umfassen. All die Jungs. An seiner Stelle. Wenn er darüber nachdachte, begann die Drüse zart zu pochen, ganz verlässlich, und manchmal ballte er die Faust, aber er versuchte es sich abzugewöhnen.
Loesers Lieblingsbuch im Laden von Blimk, wo er die meisten seiner Nachmittage zubrachte, war noch immer Frauenzimmer! Und wie man sie flachlegt . Er zog es ständig zurate, wie einen Psalter, wobei die Vorstellung, es sei möglich, eine Frau zu verführen, indem man einfach einem strengen Satz Regeln folgte, ihm grenzenlose Erregung verschaffte. Das Problem war, dass für sein Gefühl nicht viel darin stand, was er praktisch anwenden konnte. »Wollen Sie ein
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