Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Syntax verrutschte.
»Darum geht es ja. Ich rufe an, um mich zu entschuldigen, Mr Loeser. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie unwohl mir ist, dass ich mich so schlecht benommen habe. Sie wollten nur Ihre Kleider abholen und ein paar Fotos machen, und ich habe Sie behandelt wie einen Landstreicher oder so etwas. Und schon auf der Party war ich genauso garstig. Wenn ich schlechte Laune habe, kann ich wirklich zu einem Ungeheuer werden, und wenn ich wieder zur Besinnung komme, ist es zu spät. Sie ahnen ja nicht, wie viele Freunde ich so schon verloren habe. Der arme Stent bekommt natürlich das meiste davon ab. Falls Sie mir vergeben können, sollen Sie wissen, dass Sie bei uns jederzeit willkommen sind. Die Kamera und Ihre Kleider ersetze ich Ihnen natürlich. Übrigens, wahrscheinlich wundern Sie sich, warum Ihr Freund Jascha damals hier war. Das hätte ich Ihnen erklären sollen. Jascha ist im Vorstand des Komitees für kulturelle Solidarität. Wir hatten uns für eine Besprechung zum Kaffee verabredet. Und Ihr Name, Herr Loeser, war an jenem Vormittag tatsächlich schon zur Sprache gekommen. Im Vorstand gibt es noch eine Position zu besetzen, und unsere große Hoffnung war, sie mit einem Angehörigen Ihrer Rasse zu füllen. Ich will es nicht zu unverblümt sagen, aber die meisten Flüchtlinge, die nach Amerika kommen, sind Juden, und trotzdem haben wir keinen einzigen Juden im Vorstand – wirklich sehr peinlich. Sie hätten wohl kein Interesse, sich dem Komitee anzuschließen? Viel Geld können wir Ihnen nicht anbieten – nur symbolische Bezüge, etwa 30 Dollar im Monat –, aber die Aufgaben sind leicht zu erfüllen, und wir wären geehrt, einen so angesehenen Künstler unter uns zu wissen. Was sagen Sie?«
Begeistert merkte Loeser, dass man ihn kaufen wollte. Dolores Mutton hatte sich offenbar mit Drabsfarben besprochen, und sie waren zu dem Schluss gekommen, dass Bestechung erfolgversprechender sei als Drohungen. Er hoffte, dass sie sich nicht wieder auf Drohungen verlegen würden, wenn er es ablehnte, sich bestechen zu lassen. »Ich freue mich über Ihr Angebot, Mrs Mutton, aber ich fürchte, ich werde nicht annähernd lange genug in Los Angeles bleiben, um hier Aufgaben zu übernehmen.«
»Sind Sie sich ganz sicher?«
»Ja. Betrachten wir die ganze Angelegenheit doch als erledigt, ja? Die ganze Angelegenheit«, wiederholte er bedeutungsvoll.
Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Ich verstehe. Vielen Dank, Mr Loeser. Leben Sie wohl.«
Loeser beschloss, das Frühstück im Hotelrestaurant einzunehmen. Er zog sich an und nahm sich auf der Suche nach einem Tisch ein Exemplar des Los Angeles Herald von der Anrichte. Es enthielt einen Artikel über ein paar Musikwissenschaftler, die an verschiedenen Orten die Wellenlänge des Verkehrslärms gemessen und herausgefunden hatten, dass die Tonart von Los Angeles F-Dur war.
Er überblätterte die internationale Politik und den Klatsch aus Hollywood und stieß auf einen Artikel aus der Feder keines Geringeren als Stent Mutton, der einen langen Bericht über seine Reise in die Sowjetunion geschrieben hatte. Der Stil unterschied sich so sehr von dem seiner Romane, dass man kaum glauben konnte, dass hier der Autor von Erstickter Schrei und Fließband schrieb. Er erklärte, er sei als Skeptiker angekommen, aber nach vierzehn Tagen bekehrt gewesen. »Die Moskauer reißen Witze über ihre kleinen Missstände, gutartige Witze, zuweilen auch bösartige, aber sie denken gar nicht daran, über diesen kleinen Nöten das Große zu übersehen, welches allein das Leben in der Sowjetunion bieten kann. Wie fest, zuversichtlich, ruhevoll stehen sie im Leben, wie sehr fühlen sie sich als organische Glieder eines sinnvollen Ganzen. Die Zukunft liegt vor ihnen wie eine gebahnte Straße durch eine schöne Landschaft.« Mutton hatte ein Gefängnis besichtigt und es sauber, komfortabel und human gefunden. »So allseits bekannt und so wirkungsvoll ist die sowjetische Methode der Menschenumerziehung, dass Kriminelle sich inzwischen gelegentlich um Aufnahme bewerben. Die Sowjetbehörden rechnen mit der Ausrottung jeglichen Fehlverhaltens, sobald sich im Sowjetleben die neuen geistigen Gewohnheiten eingebürgert haben, die das sozialistische System hervorbringt.« Sogar eine kurze Audienz bei Stalin hatte man ihm gewährt. »Er ist ein einsamer Mann, der allen Versuchungen des Geldes oder Genusses widersteht. Seine Machtfülle ist ungeheuer, aber er bildet sich nichts darauf ein.
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