Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
direkt zu Raum 11 gehen und Adele suchen, aber dann zog es ihn in den Keller. Solange er nicht an den Fundort von Marshs Leiche zurückkehrte und sicher wusste, dass man sie weggebracht hatte, würde ein Teil von ihm weiter glauben, sie läge noch dort.
Am Fuß der Treppe, nicht weit von den Lagerschränken, aus denen die Leiche gefallen war, beschlich Loeser das Gefühl, nicht allein zu sein. »Hallo?«, sagte er und fragte sich, ob er kehrtmachen solle. Was sich daraufhin ereignete, daran konnte er sich später nur als Begriffsabfolge in einer geometrischen Progression reinen Schreckens erinnern. Erstens die Lichtspirale, die sich im Glas des Kastens für den Feuerlöschschlauch an der nahen Wand widerspiegelte; zweitens das abrupte Verlöschen dieses Lichts; drittens das raspelnde Geräusch, bei dem Loeser an ein Insekt mit angespitzten Mundwerkzeugen aus Stahl denken musste; viertens die menschenähnliche Gestalt, die aus der Finsternis kam; fünftens das Licht, das von den Augen dieser Gestalt ausging und zerklüftete Schatten an die Decke warf; sechstens die Klaue am Ende des rechten Armes der Gestalt. Loeser hob eine Hand, halb um sich vor dem Anblick, halb um sein Gesicht vor einem Angriff zu schützen. Und dann:
»Mr Loeser, wenn ich mich nicht irre?«
Loeser wurde klar, dass die Gestalt kein monströser Wiedergänger von Marsh war, sondern Dr. Clarendon, Ziesels Kollege, dem er vorhin begegnet war. Er trug eine Grubenlampe am Kopf und einen großen Seitenschneider in einer Hand. »Entschuldigen Sie«, fügte Clarendon hinzu. »Blendet Sie das?« Er nahm die Grubenlampe ab und ließ sie von der anderen Hand baumeln, sodass sie ein weicheres Licht auf den Boden warf. Loeser blickte an Clarendon vorbei und konnte jetzt sehen, dass dieser offenbar eine Art Apparatur aufgebaut hatte, mit einem Metallgehäuse und vielen Einstellrädern und Schaltern und offenen Kabeln, ungefähr von der Größe eines Radiogeräts.
»Was treiben Sie hier unten?«, sagte Loeser, dem sich das Herz noch immer in der Brust drehte wie der Kreisel eines Gyroskops.
»Ein Experiment«, sagte Clarendon, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Wie bei vielen Wissenschaftlern und Mathematikern war sein Konversationston so seltsam und auf so verbissene Weise tollpatschig, dass es manchmal fast schon an Koketterie grenzte.
»Warum experimentieren Sie im Dunkeln?«
»Wir wissen nicht viel über Gespenster, Mr Loeser, aber dass sie lichtscheu sind, das wissen wir.«
»Gespenster?«
»Ja.«
»Halten Sie eine Séance ab?«
»Nein. Séancen sind unwissenschaftlich. Ich teste mein Phasmatometer. Es gibt nicht viele Todesfälle auf dem Campus, deshalb habe ich selten Gelegenheit dazu. Ich brauche vielleicht ein paar Tage, um es zu kalibrieren, aber wenn das Phasmatometer richtig läuft, wird es bald präzise Messwerte der residualen Präsenz von Herrn Dr. Marsh aufzeichnen.«
»Um seinen Mörder zu finden?«
Clarendon hob die Augenbrauen, als hätte er daran noch gar nicht gedacht. »Das nicht gerade. Wenn es zu direktem Kontakt kommt, dann nur zufällig. Trotzdem gehe ich davon aus, dass Dr. Marsh sich glücklich schätzen wird, Gegenstand eines so wichtigen Experiments zu sein – ein angemessener Abschluss seiner Karriere. Ich möchte mein Phasmatometer irgendwann so weit verfeinern, dass ich meine Arbeit dem Außenministerium übergeben kann.«
»Was wollen die denn damit?«
Clarendons schüttelte zur Antwort den Kopf. »Man könnte uns zuhören, Mr Loeser«, sagte er leise.
Loeser fragte sich, wer ihnen hier wohl zuhören könnte. Er fragte sich außerdem, was das Außenministerium mit Gespenstern am Hut hatte. Vielleicht hofften sie darauf, dass ein Kommunist, ob es nun ein Hauptmann vom NKWD war oder ein Doppelagent aus Michigan, auf die Seite einer gottesfürchtigeren Nation wechseln und das Phasmatometer ein gründliches Verhör erlauben würde. Der Überläufer könnte dann sogar einen Deal machen und seine Zeit im Fegefeuer abkürzen. Und wenn er nicht wollte, könnte man das Gerät so einstellen, dass es das Gespenst mit einer Bibel verprügelte und ihm den Kopf in einen Eimer Weihwasser tauchte. »Und es funktioniert überall?«, fragte er.
»Ja.«
»Ich habe nämlich zufällig ein Gespenst bei mir zu Hause.«
»Wirklich? Nun, wenn Sie möchten, könnte ich mit dem Phasmatometer vorbeikommen und ein paar Messungen machen. Ich könnte mein Experiment mit Dr. Marsh mit ein wenig Feldforschung unter weniger
Weitere Kostenlose Bücher