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Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Titel: Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edzard Reuter
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die von manchen anderen Mitgliedsländern eher schon als unziemliche Auswüchse empfunden wurden.
    Gerade im Zusammenhang mit den augenblicklichen Schwierigkeiten neigen wir allerdings manchmal dazu, die nicht gerade einfachen Probleme zu vergessen, die es auch früher schon gegeben hat.
    De Gaulle wie Adenauer waren in ihrer grundlegenden politischen Mentalität noch Kinder des 19. Jahrhunderts. Im Zweifel gebührte für sie dem eigenen nationalen Interesse Vorrang vor jedweder anderen Überlegung. Wenn der französische Präsident von der europäischen Einheit und der Bedeutung der deutsch-französischen Verbundenheit sprach, ging er selbstverständlich davon aus, dass Frankreich die Rolle einer Führungsmacht zukomme. »La France« – bis zu seinem endgültigen politischen Abtreten im Jahr 1969 blieb das der Maßstab, dem sich alles andere unterzuordnen hatte. Ganz in diesem Sinne sollte eine vertiefte Bindung zwischen seinem Land und dem großen östlichen Nachbarn aus seiner Sicht dazu beitragen, die befürchtete Übermacht amerikanischer Interessen und Einflussmöglichkeiten einzudämmen. Konrad Adenauer waren vermutlich solche nationalegoistischen Gesichtspunkte alles andere als fremd, er neigte jedoch vermutlich aus geschichtlicher Einsicht dazu, den Führungsanspruch Frankreichs in Europa als unvermeidlich hinzunehmen.
    Gleichzeitig hatte er allerdings in seiner eigenen Partei und in seiner Regierung mit einer Reihe von Persönlichkeiten zu tun, die sich als »Atlantiker« verstanden. Angeführt von Ludwig Erhard – der sich ohnehin berufen fühlte, Adenauer möglichst bald als Bundeskanzler nachzufolgen, jedoch von diesem für ungeeignet gehalten wurde sahen sie in einer allzu engen Bindung an Frankreich die latente Gefahr einer Entfremdung von den USA. Für den legendären Wirtschaftsminister mag übrigens seine Zuneigung zu den traditionellen marktwirtschaftlichen Überzeugungen der amerikanischen Eliten, die im massiven Gegensatz zur eingefleischten französischen Tradition der übergeordneten Steuerung des wirtschaftlichen Geschehens durch staatliche Instanzen standen, noch deutlich stärker ins Gewicht gefallen sein als die Berücksichtigung irgendwelcher allgemeinpolitischen Erwägungen (die ihm ohnehin eher fremd gewesen sein dürften).
    So gab es im Anschluss an die feierliche Unterzeichnung des Élysée-Vertrages auch bald eine deutliche Verstimmung zwischen den beiden Regierungen, weil der Bundestag seinem Ratifizierungsbeschluss eine einseitige Präambel hinzufügte. Sie unterstrich, dass die angestrebte deutsch-französische Zusammenarbeit keinesfalls im Widerspruch zu der unverändert engen Bindung der Bundesrepublik an die USA stehe – und darüber hinaus, dass die Bundesrepublik einen baldigen Beitritt Großbritanniens zur EWG anstrebe. Für den französischen Präsidenten war dies in der Tat ein Ärgernis, zumal nach seiner Vorstellung die Bundesrepublik zwar ein »wirtschaftlicher Riese«, politisch jedoch nur »ein Zwerg« war, der womöglich noch nicht so recht begriffen hatte, dass es sich bei der künftigen europäischen Zusammenarbeit nur um ein »Europa der Vaterländer« unter französischer Führung handeln könne.
    Doch solche Erwägungen und ihre Folgen spielten sich weitgehend im Verborgenen der diplomatischen oder persönlichen Kontakte ab. Die breite Öffentlichkeit erreichten sie allenfalls in wenig beachteten Zeitungskommentaren. Jean Monnet, der auf seine Weise ebenso leise wie beständig an der fortschreitenden Festigung einer wirklich gleichberechtigten europäischen Zusammenarbeit gearbeitet hatte, wären sie ohnehin fremd gewesen. Zudem verstand es Charles de Gaulle – weit besser noch als Konrad Adenauer – meisterhaft, die allgemeine Begeisterung der ersten Nachkriegszeit für seine Zwecke zu nutzen. Als Vorbereitung auf den feierlichen Vertragsabschluss entfachte er auf beiden Seiten des Rheins eine wahrhafte Kampagne in der französischen wie der deutschen Öffentlichkeit. Ihren Höhepunkt erreichte sie während einer Reise, die den Präsidenten Ende 1962 durch die Bundesrepublik führte und in einer Ansprache »an die deutsche Jugend« in Ludwigsburg gipfelte, bei der er unter unbeschreiblichem Begeisterungstaumel ausrief: »Ich beglückwünsche Sie …, junge Deutsche zu sein, das heißt Kinder eines großen Volkes – jawohl, eines großen Volkes«. Versucht man heutzutage, diese ein halbes Jahrhundert zurückliegende Phase der europäischen Entwicklung

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