Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Es wird in seinen Grundzügen bis heute angewendet, wenn Verhandlungen mit einem weiteren Staat – etwa mit der Türkei oder Kroatien – über die Mitgliedschaft anstehen. Zielsetzung ist es jeweils, herauszufinden, ob die Erfüllung aller gestellten Anforderungen gewährleistet ist. Gewiss kommt dabei der Sicherung der allgemeinen Menschenrechte hoher Vorrang zu. Doch genau wie eine lange Liste weiterer Voraussetzungen spielen seit jeher auch wirtschafts– und sozialpolitische Kriterien eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt zählt dazu die Frage, ob der betreffende Staat über eine funktionsfähige und verlässliche Verwaltungsstruktur verfügt. Davon kann jedenfalls keine Rede sein, wenn – wie im Fall von Griechenland – eine große Zahl von Ministerien und weiteren Behörden unkoordiniert nebeneinander her arbeiten, wenn sich ihre Zuständigkeiten überschneiden und sie sich deswegen gegenseitig behindern oder wenn sie über keine modernen Kommunikationssysteme verfügen.
Unvermeidlich muss es dann zu Unverträglichkeiten kommen, die ein Chaos nach sich ziehen. Steuerhinterziehung entwickelt sich schnell zum Volkssport, wenn die Veranlagung durch die Behörden unzuverlässig arbeitet. Renten werden in großer Zahl an Empfänger ausbezahlt, die längst nicht mehr am Leben sind. Korruption wird zur selbstverständlichen Gewohnheit. Das alles hat aber eben nicht das Geringste mit angeblichen Eigenschaften der einfachen Menschen zu tun. Griechinnen und Griechen unterscheiden sich weder durch ihren Arbeitswillen noch durch ihre Intelligenz noch durch ihre Lebensziele und Träume von anderen Europäern. Die wirklichen Ursachen für die dramatischen Probleme, mit denen wir es zu tun hatten (und haben), sind allein darin zu finden, dass es den politischen Parteien und ihren Führungen in Griechenland nie gelungen ist, eine funktionsfähige, unabhängige, an klare gesetzliche Grundlagen gebundene staatliche Verwaltung ins Leben zu rufen. Gewiss musste nach Ausbruch der sogenannten Eurokrise zuallererst die Sanierung des griechischen Staatshaushalts im Vordergrund aller Bemühungen stehen. Auf die Dauer gedient sein wird jedoch allen denjenigen, die dafür außerhalb und innerhalb des Landes so schmerzhafte Opfer erbringen müssen, nur dann, wenn es mit gemeinsamer Anstrengung gelingt, die berühmt-berüchtigten »griechischen Verhältnisse« von Grund auf in Ordnung zu bringen. Das aber wird, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, seine Zeit kosten.
Dabei trifft es zweifellos zu, dass die Ursachen der vorangegangenen Krisen in Irland und Portugal oder diejenigen der später in Italien und Spanien zutage getretenen Schwierigkeiten jeweils unterschiedlicher Natur waren und sind. Allen ist jedoch gemeinsam, dass die beteiligten europäischen Regierungen von Anfang an einem grundlegenden Irrtum aufgesessen sind. Er bestand – und besteht – aus dem nahezu blinden Glauben an die Weisheit ihrer finanzpolitischen Ratgeber. Allesamt haben sie gepredigt, dass es sich ausschließlich um eine Überschuldung der jeweiligen staatlichen Haushalte handele, die daher durch ebenso radikale wie kurzfristige Sparmaßnahmen bereinigt werden müsse. Lange, bis weit ins Jahr 2011 hinein, hat es gedauert, bis sich endlich herumgesprochen hatte, dass vielmehr unterschiedslos alle Mitglieder der Gemeinschaft in der Verantwortung stehen, sich darum zu kümmern, dass das Übel an seinen – jeweils unterschiedlich gearteten – Wurzeln gepackt wird. Sollte dies misslingen, werden sich im Übrigen auch alle noch so sympathisch klingenden Appelle an eine gemeinsam geförderte Wiederbelebung des wirtschaftlichen Wachstums, wie sie der französische Präsident François Hollande gleich zu Beginn seiner Amtszeit angemahnt hat, als fruchtlose Therapieversuche erweisen.
Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vom Dezember 2011 waren sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung. Inzwischen hat sich jedoch auch bis zur deutschen Bundeskanzlerin herumgesprochen, dass weit mutigere Schritte folgen müssen, bis die Spekulanten endgültig in ihre Schranken verwiesen sind und endgültig Entwarnung gegeben werden kann. Bis es wenigstens zu einer Atempause kommen konnte, mussten wir allerdings seit Anfang des Jahres 2010 eine nur durch kurze Pausen unterbrochene Folge von »Krisengipfeln« miterleben. Regelmäßig endeten sie mit Pressekonferenzen, auf denen – mal mit ernster, mal mit froher Miene – dem staunenden Fernsehpublikum
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