Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
in den Verfassungen aller übrigen Länder, die der EU angehören (oder zukünftig deren Mitglieder werden wollen). Dass die damit zum Ausdruck gebrachte grundsätzliche Überzeugung nie wieder – wie es über allzu lange Wegstrecken der Geschichte hinweg der Fall war – zur leeren Floskel, zum reinen Lippenbekenntnis werden darf, dafür haben unzählige Menschen gelitten, gekämpft, ihr Leben gelassen. Schon der flüchtigste Rückblick auf wenige Beispiele aus der allerjüngsten Vergangenheit macht deutlich, was gemeint ist: der Aufstand der polnischen Werftarbeiter in Gdansk im August 1980, der Prager Frühling 1968, der 17. Juni 1953 in Berlin (oder Bitterfeld und Halle) – und natürlich der Sturz des kommunistischen Regimes in der DDR durch die einfachen Bürgerinnen und Bürger. Allesamt haben diese Ereignisse erwiesen, dass die gewaltsame Unterdrückung von Menschenwürde und Menschenrechten auf die Dauer in Europa keine Chance hat, sich gegen die gemeinsamen Wertvorstellungen seiner Bürgerinnen und Bürger zu behaupten.
Dasselbe gilt für den Wert der Freiheit jedes einzelnen Menschen. Umso weniger verständlich ist es, wenn einige politische Kommentatoren nichts Besseres gewusst haben, als dem Bundespräsidenten Gauck, noch bevor er überhaupt gewählt war, damit am Zeug zu flicken, dass er angeblich allzu sehr auf den Begriff der Freiheit fixiert sei und damit die Bedeutung von sozialer Rücksichtnahme vernachlässige. Abgesehen davon, dass der Kampf für die Sicherung der individuellen Freiheitsrechte bekanntlich nicht erst durch Joachim Gauck entdeckt wurde, sondern im Verlauf der europäischen Geschichte schon ein wenig öfter im Vordergrund gestanden hat (wie beispielsweise während der Berliner Blockade in den Jahren 1948/49): Die gesamte Auseinandersetzung zwischen der westlichen Welt und dem sowjetischen Reich während des sogenannten Kalten Kriegs drehte sich im Kern um nichts anderes als darum, den unterdrückten Menschen die Erfüllung jener gemeinsamen Wertvorstellung, die sich in dem Wort »Freiheit« niederschlägt, zu ermöglichen.
Dasselbe gilt für den hohen Rang der Rechtsstaatlichkeit, der uns miteinander verbindet. Auch insofern spricht ein eher lächerlicher Streit Bände, der sich nach der deutschen Wiedervereinigung in einigen intellektuellen Debattierzirkeln entwickelt hat. Manche Protagonisten, die zumeist in den Reihen der heutigen Linkspartei zu finden sind, haben sich dabei berufen gefühlt, die untergegangene DDR gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie sei ein »Unrechtsstaat« gewesen.
In der Tat hat niemand ernsthaft behauptet, dass es dort nicht möglich war, vor Gericht die Erfüllung eines Kaufvertrages einzuklagen. Ebenso wenig ist zu bezweifeln, dass ein normaler Diebstahl nach gängigen strafrechtlichen Gesichtspunkten geahndet wurde. Berufungsmöglichkeiten zu einer höheren Instanz waren bei solchen Tatbeständen gleichfalls gewährleistet.
Die Schlussfolgerung, dass es sich damit um einen Rechtsstaat gehandelt habe, gleicht allerdings trotzdem einem Witz. Denn ein solcher zeichnet sich nun einmal dadurch aus, dass es im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat selber klare Bestimmungen gibt, deren Anwendung nicht nach Belieben umgebogen werden kann und jederzeit der Überprüfung durch unabhängige Gerichte unterliegt. Das aber war im ganzen sowjetischen Herrschaftsbereich nie der Fall – und deswegen auch die DDR im eigentlichen Sinne des Wortes zutiefst ein Unrechtsstaat.
Hinter allen diesen uns Europäern gemeinsamen Wertvorstellungen stehen, wie gesagt, die Errungenschaften der Aufklärung. Zugleich ist damit gesagt, dass selbst noch unser tägliches Denken und Handeln in recht merkwürdiger Weise durch Grundsätze geprägt sind, über deren Bedeutung sich eine überwältigende Mehrheit noch nie ernsthaft Gedanken gemacht hat. »Aufklärung«? Was ist das? Und wenn schon nur die wenigsten eine Antwort darauf kennen, wie kann der Begriff dann den Europäerinnen und Europäern als grundlegende Wertvorstellung gemeinsam sein?
Natürlich ist hier nicht der Platz, lang und breit auf Geschichte und Bedeutung der Aufklärung einzugehen. Letzten Endes ging und geht es um die Ablösung jeglicher Form von Aberglauben durch menschliche Vernunft. Über Jahrhunderte hinweg haben große Geister aus vielen Nationen daran mitgewirkt. Namen wie Rousseau, Voltaire, Hume und Kant zählen an vorderster Stelle dazu. Von Kant stammen auch die berühmten Sätze, die
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