Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
besseren Weg geben könnte, um das Gelingen jeglicher europäischer Gemeinsamkeit von vornherein in das Reich der Utopie zu verweisen). Beide Argumente machen jedenfalls deutlich, dass es für diejenigen, die wir mit höchster politischer Führungsverantwortung betrauen, künftig nicht mehr ausreichen darf, weiter nach dem Strickmuster der augenblicklichen Bundeskanzlerin zu verfahren. Ein vereintes Europa, das diesen Namen verdienen soll, wird und muss etwas grundlegend anderes sein als das, was sich seine Völker im Verlauf des 19. Jahrhunderts als ihren »Nationalstaat« erträumt haben – zugleich wird und muss es aber auch weit mehr sein als nur ein Club von Staats- und Regierungschefs, die meinen, jeweils nach Belieben frei darüber entscheiden zu können, ob die jeweiligen nationalen Eigenheiten durch ihre Beschlüsse gewahrt oder aufgegeben werden.
Davon nicht nur eine große Mehrheit der Menschen in den beteiligten Ländern zu überzeugen, sondern genauso auch rückwärtsgewandte, auf ihre vermeintlich so kostbaren Souveränitätsrechte pochende Politiker: Wahrhaft eine Aufgabe, die weit mehr erfordert als die ohnehin schon aufreibende Last, mit der europäischen Schuldenkrise fertig zu werden. Ich weiß: Fast käme es einem Glücksfall der Geschichte gleich, sollten sich gleich in mehreren europäischen Staaten Politikerinnen und Politiker finden, denen solcherlei Gaben beschieden sind. Und doch hat es vergleichbare Konstellationen eben in der europäischen Nachkriegszeit gegeben. Den nächsten Schritt in diese Richtung muss nun freilich jedes der Mitgliedsländer selbst tun. Auch wir!
Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat das Problem sogar auf einen einzigen Satz eingeengt: »Die Globalisierung entzieht dem Nationalstaat – als bisher einzigem erfolgreichem Domizil einer funktionsfähigen Demokratie – seine ökonomische Grundlage.« Sollte dies tatsächlich zutreffen, könnte es für das europäische Projekt insofern ein schwerwiegendes Dilemma zur Folge haben, als die unvermeidliche Übertragung klassischer nationalstaatlicher Hoheitsrechte an die Union zugleich eine Schwächung der demokratischen Mitwirkungsrechte in den Mitgliedsländern bewirken würde. In der Tat ist dies ja genau das Thema, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach – zuletzt in seiner dramatischen Entscheidung über das Inkrafttreten des ESM – zu befassen hatte. Aber muss die mit einer weiteren Vertiefung der europäischen Einheit verbundene Übertragung bisheriger nationaler Befugnisse auf gemeinsame Institutionen wirklich mehr oder minder zwangsläufig zu einer Gefährdung der demokratischen Errungenschaften führen? Die Antwort lautet: Die Gefahr muss zweifellos ernst genommen werden – aber sie kann vermieden werden!
Zunächst einmal sollten wir uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Realitäten der zurückliegenden europäischen Entwicklungen belegen, dass die jeweils unter dem Dach der einzelnen Nationalstaaten vereinten Regionen und Landsmannschaften keineswegs ausnahmslos mit dem Ausmaß der ihnen zugedachten demokratischen Mitbestimmungsrechte zufrieden sind. Denkt man etwa an den nahezu täglich neu aufflammenden Streit zwischen Flamen und Wallonen in Belgien, an die immer aggressiver werdenden Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland oder – nicht zuletzt! – an die teilweise mörderischen Auseinandersetzungen mit der baskischen Terrororganisation ETA in Spanien, wird auch sofort klar, dass es sich nicht um Ausnahmenfälle handelt, die vernachlässigt werden können.
*
»E pluribus unum« – »Aus den vielen das eine«: So lautet der Sinnspruch im Staatswappen der Vereinigten Staaten von Amerika. Um zu verstehen, wie sehr das gesamte politische Geschehen des bei weitem mächtigsten Staates der Erde bis heute durch diesen Grundsatz geprägt ist, genügt schon ein ganz kurzer Blick auf seine Entstehungsgeschichte.
Nach der 1776 gemeinsam durch die 13 voneinander unabhängigen Gründungsstaaten erklärten Loslösung von ihrem Mutterland England – der »Declaration of Independence« – entwickelte sich eine jahrelange Auseinandersetzung über die Grundzüge einer Verfassung für die angestrebte staatliche Vereinigung. Kontrahenten waren die sogenannten »Federalists«, die eine weitgehend zentralisierte Staatsstruktur anstrebten, und die sich damals als »Democratic-Republicans« bezeichnenden Anhänger einer durch möglichst wenige zentrale Funktionen eingeengten Rolle der Einzelstaaten.
Weitere Kostenlose Bücher