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Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Titel: Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edzard Reuter
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Amerika auf der anderen Seite vollends und unwiederbringlich eine neue Ära einleitete. Gekennzeichnet war diese neue Zeit allerdings keineswegs überwiegend durch Ehrfurcht gebietende Errungenschaften des menschlichen Geistes und der durch ihn geschaffenen Kultur, sondern auch – und vor allem – durch die grausigen kriegerischen Auseinandersetzungen und die schrecklichen Untaten, von denen schon die Rede war.
    Vor diesem Hintergrund fürchte ich, dass sich die Geschichte bei bestem Willen um keinen Deut besser als die Geografie dafür eignet, den Begriff »Europa« genau zu bestimmen – zumindest so genau, dass es für den nüchternen Verstand keine Streitmöglichkeiten mehr geben könnte. Was also bleibt? Vielleicht doch kulturelle Errungenschaften, die denjenigen gemeinsam sind, die sich als Europa zugehörig verstehen und sich dadurch erkennbar von anderen unterscheiden?
    Gewiss: Shakespeare wie Goethe haben unvergleichliche Werke hinterlassen, die – unabhängig von ihrem Herkommen, ihrer Sprache, ihrer Religion oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit – jede und jeden von uns zutiefst anrühren, sofern wir auch nur ein wenig in uns hineinzuhören und zu begreifen vermögen, dass wir selbst es sind, die uns die Dichter vorführen. Die Musik von Beethoven oder von Verdi lässt uns, ob wir aus dem Norden oder Süden, dem Westen oder Osten stammen, ob wir an Gott glauben oder nicht, Italienisch oder Finnisch sprechen, lässt also jede und jeden, der oder dem das Glück beschieden ist, sich ihr hingeben zu können, in gleicher Weise die Lust und die Last erahnen, geboren zu sein und sterben zu müssen. Die Bilder von Goya genau wie die von Picasso, von Rembrandt oder von Leonardo führen ausnahmslos allen, die zu sehen vermögen, vor, was Schönheit bedeutet, oder auch, zu was Menschen fähig sind, im Guten wie im Schrecklichen. Nichts anderes gilt für die Romane von Dostojewski oder Cervantes, für die Lyrik von Baudelaire oder Heine.
    Niemand wird ernsthaft bestreiten können, dass alle diese Namen und deren Werke für die Existenz eines seit Jahrtausenden stattfindenden kulturellen Austauschs zwischen den Völkern stehen. Unschwer könnte man übrigens den osmanischen – und sicherlich auch zu bedeutenden Teilen den islamischen – Kulturkreis in die mit einem solchen Austausch regelmäßig verbundene gegenseitige Befruchtung einbeziehen. Der weit über sein engstes Arbeitsumfeld hinausragende Einfluss des großen Architekten Sinan spricht dafür eine ebenso deutliche Sprache wie der Einfluss des altgriechischen Wissens und Denkens, das der Arzt und Philosoph Avicenna in die mittelalterliche Entwicklung der persischen Theologie und Medizin einbrachte. Und natürlich erübrigt es sich, hinzuzufügen, dass die Großtaten der Geistes- wie der Naturwissenschaften ohnehin zu den unbestreitbaren Bestandteilen der Kultur gehören. Auch insofern reicht es daher aus, wenige Namen zu nennen – ob sie Galilei, Newton oder Einstein heißen, Machiavelli, Hobbes oder Kant.
    Wohlgemerkt: Das alles sind nur beliebig herausgegriffene Leuchttürme im unendlichen Meer der Kultur, der Wissenschaften und der Künste. Ganz bewusst vernachlässigt sind dabei die Entwicklungen seit Anbruch der Moderne, die Dichtungen, Theaterstücke, Filme, die Musik, das Fernsehen und die journalistischen Medien, die Explosion der Wissenschaften und der Technik. Auch eine noch so lange Aufzählung der Gemeinsamkeiten und Verbindungen, die über alle nationalen Grenzen hinweg die Kulturen miteinander verbinden, würde freilich nichts an einer durchaus nüchternen Feststellung ändern. Sie lautet, dass sich das klare Bewusstsein für eine besondere europäische Identität auf eine kulturelle Elite beschränkt – was im Übrigen keineswegs ausschließt, dass deren Angehörige jederzeit bereit und in der Lage sind, hitzig darüber zu streiten, welche Kulturkreise (sofern sie sich überhaupt über deren genaue Definition zu einigen vermögen!) tatsächlich dazugehören und welche nicht.
    Allenfalls als Randbemerkung wäre hinzuzufügen, dass jeder Versuch, »Europa« durch eine wie auch immer begründete ethnische (oder gar »rassische«) Zugehörigkeit von Menschen als begriffliche Einheit zu definieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muss. Wie sehr Europa während seiner Geschichte durch die »Durchmischungen« verschiedenster Ethnien und der für sie charakteristischen Kulturen geprägt worden ist, beweist schon der erste Blick auf

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