Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
der Steuerzahler – gehen darf.
Keiner dieser Schritte wird leichtfallen. Dabei wird zwar das Geschrei der Lobbyisten anders klingen als die zu erwartende Empörung der Populisten, die – vermutlich mit der Bild als Anführer – wieder einmal lauthals davor warnen, unser schwer verdientes Geld und unseren mühselig erarbeiteten Wohlstand den chronischen europäischen Verschwendern und Faulpelzen in den Rachen zu werfen. Auch im Zusammenhang mit solchen unvermeidlichen Auseinandersetzungen weist allerdings auch insofern die amerikanische Geschichte beeindruckend aus, was politischer Mut und glaubhafte Führungsfähigkeit einzelner Persönlichkeiten bewirken können.
Die noch nicht lange zuvor ins Leben gerufenen Vereinigten Staaten standen gegen Ende des 18. Jahrhunderts vor einer lebensbedrohenden Krise. Nicht zuletzt der Unabhängigkeitskrieg gegen das englische Mutterland hatte die letzten finanziellen Reserven der Mitgliedsstaaten aufgezehrt. Guter Rat war teuer, durch wen die weiterhin zu erwartenden Ausgaben für die gemeinsame Verteidigung, aber auch für den Ausbau einer leistungsfähigen wirtschaftlichen Infrastruktur – wie etwa die bis dahin nicht ausreichenden Voraussetzungen für den Aufbau einer Güter erzeugenden Industrie – aufgebracht werden sollten. Die Mitgliedsstaaten hielten ihre Taschen zu und sträubten sich hartnäckig, in Erfüllung der beschlossenen Verfassung irgendwelche Leitungsfunktionen an zentrale Behörden in Washington abzugeben. Trotz der berauschenden Erfolge des ersten Präsidenten, George Washington, drohte ein Auseinanderbrechen und damit das Scheitern der Union – hätte es nicht einen Politiker gegeben, der sich nicht scheute, auch unangenehme Wahrheiten offen und ehrlich beim Namen zu nennen. Vor allem er war es, dem es auf diese Weise schließlich gelang, alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass es in Wirklichkeit um Leben und Tod der amerikanischen Gemeinschaft ging.
Alexander Hamilton, der erste Finanzminister der Vereinigten Staaten, zählte zu den maßgeblichen Vertretern der schon erwähnten »Föderalisten«. Als solcher wurde er von seinen Gegnern beschimpft und verleumdet, ja, er starb im tödlichen Duell mit einem hartnäckigen Anhänger der Gegenpartei – und doch kann im Rückblick kein Zweifel bestehen, dass die weltpolitische Erfolgsgeschichte der USA, die wir heutzutage als schiere Selbstverständlichkeit empfinden, ohne die mutige Überzeugungskraft von Alexander Hamilton im schnellen Fiasko geendet hätte.
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Dieses geschichtliche Geschehen ist deshalb so lehrreich, weil sich die politischen Gegner einer fortschreitenden Vereinigung Europas mit Vorliebe der gleichen Argumente bedienen, mit denen damals gegen eine angebliche Gefahr ins Feld gezogen wurde. Behauptet wurde, dass eine uferlose Ausdehnung zentraler Leitungsfunktionen des Staates drohe, mit der Folge, dass die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger auf dem Spiel stehe. Mit der gleichen Beharrlichkeit wird heutzutage gern darauf beharrt, dass die Abgabe klassischer Souveränitätsrechte an gemeinsame europäische Institutionen zwangsläufig eine grundlegende Beeinträchtigung der demokratischen Selbstbestimmung nach sich ziehen müsse – und für den Fall, dass diese Argumentation nicht ausreichend überzeugen sollte, ist man schnell dabei, vor dem bedrohlichen Aufbau einer anonymen Bürokratie zu warnen, die sich bald jeder Kontrolle entziehen werde.
Hans Magnus Enzensberger, ebenso brillanter wie umfassend belesener Essayist und Schriftsteller, zählt gewiss nicht zu denjenigen, die verkennen, wie wichtig eine vernünftig weitergeführte Vertiefung der europäischen Einheit ist. Hingegen ist er einer derjenigen, die sich mit einer nahezu kokettierenden Intensität gegen die angeblich zu befürchtenden Gefahren einer zentralen Brüsseler Bürokratie zu wehren versuchen. Zweimal bereits hat er sich in dieser Richtung in die Schlacht geworfen, 1987 mit seiner Ach Europa! benannten Schrift, kürzlich wieder mit dem Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas betitelten Band. Mit seiner durchaus liebenswerten Intellektualität verkennt er freilich dabei, dass selbst noch so überzeugende, ja begeisternde politische Vorstellungen und Zielsetzungen regelmäßig untrennbar mit der Notwendigkeit verbunden sind, für ihre gesetzestreue Um- und Durchsetzung auf einen stabilen und verlässlichen Behördenapparat zählen zu können.
Freilich fällt es nicht schwer, über die
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