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Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Titel: Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edzard Reuter
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unzähligen Reglementierungen herzuziehen, mit denen sich die Europäische Union bisher ausgezeichnet hat. Genüsslich hält Enzensberger dafür kuriose Beispiele bereit, die an jedem beliebigen europäischen Stammtisch herzhafte Lachsalven auslösen müssen. »So werden dem, der mit einem Presslufthammer arbeitet, Grenzwerte für ›Hand-, Arm- und Ganzkörperschwingungen‹ vorgeschrieben«, und »welcher Käse in Salzlake gereift ist, ist auf der Packung zu vermerken«. Es »wird festgelegt, dass ›bei Lauch und Porree der Güteklasse I mindestens ein Drittel der Gesamtlänge oder die Hälfte des umhüllten Teils von weißer bis grünlich-weißer Färbung sein muss‹, es sei denn, es handle sich um Frühporree oder Frühlauch, denn in diesem Fall ›muss der weiße oder grünlich-weiße Teil mindestens ein Viertel der Gesamtlänge oder ein Drittel des umhüllten Teils ausmachen‹«. Und »die Vorschriften für die Mindestgröße von Kondomen« bestimmen, dass ihre »›Länge nicht weniger als hundert Millimeter und die Weite nicht mehr als zwei Millimeter von der nominalen Weite abweichen‹ solle«.
    Dabei ist Enzensberger klug genug, zu wissen, dass solche »Übergriffe und Schikanen« das »Bild der Europäischen Union kaum lebensbedrohend trüben«. Trotzdem sieht er in ihnen »Symptome ihrer tiefer liegenden Geburtsfehler«. In gewissem Sinne hat er sogar Recht. Er beklagt zum Beispiel, dass die französische Fassung des offiziellen Amtsblatts der Union schon mehr als 60 Millionen Worte umfasst und von den einschlägigen gesetzlichen Regelungen der weitaus geringere Teil von einem demokratisch legitimierten Parlament, die überwiegende Mehrzahl hingegen allein durch die Brüsseler Behörden beschlossen worden sind. Natürlich verbirgt sich hinter dieser Misere auch weit mehr als das, was Jacques Delors meinte, als er danach fragte, »wer sich schon in einen Binnenmarkt verliebe«. Es geht tatsächlich um »ein Kernproblem der Union«, nämlich das viel beklagte »demokratische Defizit«.
    Darauf werde ich noch zurückkommen. Hier soll uns jedoch zunächst nur der nachgerade klassische Streit zwischen »Zentralisten« und »Regionalisten« beschäftigen. Soll sich Europa in der fundamental gewandelten Welt der Globalisierung behaupten, zwingt er zu der klaren Erkenntnis, dass die weitere Festigung der europäischen Einigung nur gelingen kann, wenn zukünftig das Prinzip der Subsidiarität strengstens eingehalten wird.
    Wie schon angedeutet, bedeutet es, dass sich die Entscheidungshoheit der zentralen europäischen Institutionen – mit den beiden Häusern eines künftigen Parlaments an der Spitze – ausschließlich auf diejenigen Gebiete zu beschränken hat, die für die Gemeinschaft lebenswichtig sind. Oder, um noch einmal Jacques Delors zu zitieren: »Wenngleich Europa … gemeinsame Werte besitzt, bleibt die Nation dennoch ein Element der Zugehörigkeit, das weder zu vernachlässigen ist noch überbewertet werden sollte (…) Deshalb bin ich für eine Föderation der Nationalstaaten.« Umgekehrt besagt dieser Grundsatz freilich auch, dass genau für diejenigen Bereiche, von denen in diesem Buch die Rede ist, endlich die Handlungsfähigkeit der zentralen und demokratisch dafür legitimierten europäischen Institutionen durchgesetzt werden muss.
    Die kläglichen Erfahrungen selbst mit schüchternsten Versuchen, im Rahmen einer europäischen Verfassung ernsthafte Fortschritte in eine solche Richtung zu erreichen, sprechen für sich. Trotzdem ist es keineswegs blauäugig oder gar utopisch, auf die Fähigkeit und Bereitschaft einer überwiegenden Mehrheit nicht nur der Mitgliedsstaaten, sondern auch der Wählerinnen und Wähler zu vertrauen, eine solche grundlegende Neuordnung in Richtung auf eine demokratisch legitimierte europäische Staatsordnung in die Wege zu leiten. Dafür bedarf es allerdings weit mehr als nur der nüchternen, den Verstand überzeugenden Argumente. Gefragt ist – siehe der erwähnte Ruf nach einem neuen Willy Brandt! – etwas, was man ganz einfach als die Fähigkeit zu charismatischer politischer Führung bezeichnen kann.
    Natürlich wird eine solche Hoffnung sofort auf wütenden Widerspruch stoßen. Charisma: Klingt in einer solchen Vorstellung nicht unüberhörbar die Sehnsucht nach abgehobener politischer Schulmeisterei durch, die sich, wenn man nicht aufpasst, schnellstens jeglicher demokratischer Kontrolle entziehen könnte? In Wahrheit geht es jedoch um nichts anderes als

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