Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
verstoßen und vergessen.
»Hallo, Diana.«
»Hallo, Herr Heinzelmann. Was ist denn mit Mama los?«
»Sie hat – ähm, schwere Depressionen«, sagte Martin.
»Ach, du Scheiße.« Diana öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm eine große Schüssel rote Grütze. »Ich glaub echt, über dieser Familie liegt ein Fluch.«
Ihre klappernden Absätze entfernten sich wieder. Martin ließ Irmis schlaffe Hand los und folgte Diana hinaus in den Flur. Sie zog sich ihren Mantel über das rote Flatterkleid und untersuchte ihre Haare im Flurspiegel. Sie hatte ein gutes Dutzend Haarspangen mit roten Glitzersternchen darin untergebracht.
»Moment mal! Du willst doch wohl nicht weg?«, fragte Martin.
»Ey, Mann, wonach sieht es denn aus?«, fragte Diana zurück. »Das Motto der Party ist Rot. Wie finden Sie, dass ich es umgesetzt habe? Geil oder? Ich hab sogar rote Strapse an.«
Martin war an ihren Strapsen so wenig interessiert wie an ihrer blöden Party. »Deine Mutter braucht dich jetzt! Sie kann unmöglich allein bleiben.«
»Sie sind doch da«, sagte Diana. »Und mein Vater.« Sie zeigte zum Wohnzimmer hinüber, wo Georg immer noch vor dem Fernseher saß.
»Herrje, ich bin nur ein Nachbar. Du bist ihre Tochter, sprich mit ihr! Setz sie in eine heiße Badewanne, mach irgendetwas!«
»Sie sind lustig«, sagte Diana. »Es ist eine Silvesterparty! Die wichtigste Party des Jahres.«
»Silvester ist erst überübermorgen«, sagte Martin.
»Die Party geht über vier Tage«, erklärte ihm Diana ungeduldig. »Das ist ja gerade das Geile daran.«
»Dann macht es ja nichts aus, wenn du später kommst«, sagte Martin. »Irmi braucht dringend jemand, der sie aus dieser Stimmung rausholt. Ich bin mit meinem Latein am Ende.«
Diana öffnete ihre rote Handtasche und überprüfte, ob sie auch ihren Lippenstift dabeihatte. »Nur weil meine Mutter hier einen auf Depri macht, soll ich auf die Party meines Lebens verzichten? Nee, nee, nicht mit mir. Wenn es ernst ist, dann rufen Sie doch Doktor Sonntag an.«
»Manchmal bin ich ganz froh, dass ich keine Kinder habe«, sagte Martin.
»Mit Ihrer Einstellung ist das auch gut, dass Sie keine haben. Kinder sind doch nicht die Sklaven ihrer Eltern!« Diana warf einen letzten, anerkennenden Blick in den Spiegel, dann verschwand sie mitsamt ihrer roten Grütze durch die Haustür.
»Ach ja, und guten Rutsch, Herr Heinzelmann«, sagte sie noch.
»Dir auch einen guten Rutsch mir den Buckel runter, verwöhnte Göre«, sagte Martin und ging zurück zu Irmi in die Küche. Sie kauerte immer noch auf dem Küchenstuhl, auf dem er sie abgesetzt hatte, wiegte ihren Oberkörper vor und zurück und starrte ins Leere. Vielleicht war sie wirklich ein Fall für Doktor Sonntag?
Georg kam in die Küche gerollt.
»Es ist neun Uhr«, sagte er. »Wer bringt mich zu Bett?«
»Ich«, sagte Martin. »Deiner Frau geht es nicht gut.«
Georg warf einen Blick auf die schaukelnde Irmi. »Ach, du liebe Güte. Hat sie zu viel von ihrem Nudelauflauf gegessen, oder sind das die Wechseljahre?«
»Ein bisschen was von beidem«, sagte Martin.
Amelie
E
inundsechzig Kilo. Mit Joggingschuhen. Das war sensationell – eindeutig Größe 38. Weniger durfte es aber nicht mehr werden, sonst lief sie Gefahr, alt und faltig auszusehen. Nur zwanzigjährige Models konnten es sich erlauben, mit eingefallenen Wangen herumzulaufen. Amelie trat von der Waage, schlüpfte in ihren viel zu großen Jogginganzug und kletterte auf ihr Trainingsfahrrad. Durch das weit geöffnete Giebelfenster schien die fahle Wintersonne. Es war eisig kalt, Raureif verzauberte die kahlen Gärten in Kulissen für ein Wintermärchen. Amelie musste kräftig in die Pedale treten, um nicht zu frieren.
Noch zwei Tage bis zum neuen Jahr. Das erste Weihnachten ohne Robert hatte sie erstaunlich gut überstanden. Louisas Freund aus Berlin war überraschend zuBesuch gekommen und hatte mitgefeiert, ebenso Gilbert Kalinke, der Gärtner, der mittlerweile sozusagen zur Familie gehörte. Die beiden jungen Männer hatten sich misstrauisch beäugt und versucht, sich gegenseitig mit Komplimenten für Amelies gefüllten Puter zu übertreffen. Offenbar waren sie beide in Louisa verliebt.
Es hatte sogar eine richtige Bescherung unterm Weihnachtsbaum gegeben. Andi hatte Amelie eine Flasche teuren Champagner überreicht, von Gilbert hatte sie einen japanischen Kimono und einen zauberhaften Sonnenschirm aus Lackpapier geschenkt bekommen.
»Damit du nächstes Jahr stilecht durch
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