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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Kühlhalle holen können«, sagte der Bestattungsunternehmer. Hilfesuchend blickte ich zu meiner Mutter hinüber, die sich jetzt von Frau Hagen sogar über den Kopf streicheln ließ. Diese körperliche Nähe zu unseren verhassten Nachbarn offenbarte mir das ganze Elend ihrer Situation. Nein, von ihr war ganz offensichtlich keine Hilfe zu erwarten, im Gegenteil, sie brauchte selber dringend welche.
    In diesem Augenblick ertönte eine Melodie in Moll aus der Brusttasche des Bestattungsunternehmers. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es sein Handy war. Es spielte die ersten Töne von »Nehmt Abschied, Brüder«. Zum Totlachen.
    »Verzeihung«, flüsterte der Bestattungsunternehmer.
    »Das wird teuer«, sagte Onkel Harry, als sich der Bestatter in Erwartung seines nächsten Auftrages eilends von uns verabschiedet hatte. »Ist ja auch leichtsinnig, einfach das erstbeste Beerdigungsinstitut aus den Gelben Seiten zu suchen, ohne einen Preisvergleich zu machen.«
    »Man kann doch einen schlichten Kiefernsarg nehmen«, sagte Tante Ella. »Die sind schon teuer genug. Lass dir keinen Eichensarg aufschwatzen, Louisa. Und auch kein Seidenfutter oder anderen exquisiten Schnickschnack.«
    »Obwohl der Robert ja in Kunstfaser immer so furchtbar schwitzte«, mischte sich Tante Patti ein.
    Philipps Handy bimmelte. »Hi, wo bist’n gerade?«, brüllte er hinein.
    »Philipp«, sagte Tante Patti genervt. »Wenn du telefonieren willst, geh nach draußen.« Philipp erhob sich mürrisch und schlürfte hinaus in den Flur.
    »Wir könnten jetzt alle einen Cognac gebrauchen«, sagte Tante Patti zum wiederholten Mal und zündete sich eine neue Zigarette an.
    Ich hustete anzüglich und sah wieder hinüber zu meiner Mutter. Unter normalen Umständen hätte sie Tante Patti eine Saufnase genannt und sie samt Zigarette auf die Terrasse gejagt. Dass sie sich und ihre schneeweißen Leinenvorhänge widerspruchslos einnebeln ließ, sprach für sich. Vor lauter Qualm konnte man kaum noch das dezente Streifenmuster der Tapete erkennen.
    »Ihr seid wohl schon lange hier?«, erkundigte ich mich. Ich hatte aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen, ob das, was ich sagte, passend war oder nicht.
    »Wir sind sofort gekommen, als wir es erfahren haben«, sagte Tante Ella.
    »Ich habe heute morgen die nächsten Angehörigen telefonisch verständigt«, erklärte Carola. »Und ich habe auch das Beerdigungsinstitut ausgewählt und den Pfarrer informiert.« Carola hatte eine halbe Stelle als Gemeindehelferin, sie kannte sich mit diesen Dingen aus.
    »Vielen Dank«, sagte ich dankbar. Sie schien die Einzige zu sein, die hier etwas Nützliches geleistet hatte.
    »Die Amelie hat noch nichts gegessen, Lotta«, sagte Onkel Harry und aschte wieder auf den Perserteppich. »Vielleicht bekommt sie ja Appetit, wenn sie was Leckeres riecht.« Das sollte wohl ein Wink mit dem Telegrafenmast sein. Carola Heinzelmann reichte meinem Onkel eine Untertasse.
    »Für Ihre Zigarette«, sagte sie kühl. »Die Asche ruiniert Amelies Teppich.«
    »Danke, Mädchen«, sagte Onkel Harry, und Carolas Blick wurde noch ein bisschen kühler. Sie sah deutlich jünger aus als sie war, aber offensichtlich fand sie die Bezeichnung »Mädchen« eher beleidigend. Sie war eine attraktive, sportliche Frau von Mitte dreißig, die in ihrer engen Jeans und dem kurzen Pulli eine gute Figur machte. Ihre dunklen Haare trug sie zu einem Zopf geflochten, das schmale Gesicht war leicht geschminkt.
    Die Heinzelmanns wohnten im Haus links neben uns. Sie sangen mit meinen Eltern im evangelischen Kirchenchor und spielten einmal im Monat mit ihnen Doppelkopf. Obwohl sie um einiges jünger waren als meine Eltern, verstanden sie sich bestens.
    Es waren freundliche, ruhige und hilfsbereite Nachbarn, so angenehm, wie die Hagens unangenehm waren. Sie frisierten keine Motorräder in der Einfahrt, wie es Rüdiger Hagen bevorzugt samstagnachmittags zu tun pflegte, und sie übten nicht sommers wie winters bei offenem Fenster auf der Posaune wie Christel Hagen. Sie beschwerten sich auch nicht darüber, dass mein Vater unsere Hecke so hoch wachsen ließ, dass sie den freien Blick auf unsere Terrasse nahm – was Herr Hagen mehrfachim Jahr monierte –, oder darüber, dass meine Mutter sich gelegentlich auf eben jener Terrasse ohne Oberteil sonnte – was vor allem Frau Hagen aufbrachte. Nein, die Heinzelmanns waren Nachbarn, wie man sie sich besser nicht wünschen konnte.
    Es klingelte.
    »Das wird der

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