Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Andis Sofa und weinte. Andi streichelte unbeholfen über meinen Kopf.
Der Schwangerschaftstest war vollkommen vergessen.
Ich nehme eigentlich nie Anhalter mit. Nicht nur, weil sie angeblich dazu neigen, ein Messer zu ziehen, und einen zwingen, in einen unübersichtlichen Feldweg abzubiegen, sondern weil mein Beifahrersitz immer mit jederMenge Krempel blockiert ist. Außerdem sehe ich sie viel zu spät am Straßenrand stehen, und bis ich mich entschieden habe, zu blinken und anzuhalten, bin ich meistens schon vorbeigefahren.
Diesen aber sah ich schon von Weitem. Er stand gleich hinter der Autobahnausfahrt auf dem Randstreifen, und die Oktobersonne ließ seine nach allen Seiten abstehenden roten Haare aufleuchten wie ein Haltesignal. Ich trat spontan auf die Bremse und kam zwei Meter hinter ihm zum Stehen.
Ich habe rothaarige Männer nie sonderlich attraktiv gefunden, aber dieser hier war besonders hässlich. Aus dem mit Sommersprossen übersäten Gesicht ragte eine riesige Raubvogelnase, die Bartstoppeln, die sein vorspringendes Kinn bedeckten, waren rotblond, eine der Augenbrauen über seinen dunklen, ein bisschen unheimlichen Augen wurde durch eine breite weiße Narbe geteilt. Ich hatte mich von der harmlosen Pumuckl-Frisur täuschen lassen. Er sah eigentlich genau aus wie jemand, der einen mit vorgehaltenem Messer in den nächstgelegenen Feldweg zwingt.
Aber jetzt war es zu spät.
»Du kommst ja aus Berlin«, stellte er fest. Von Weitem hatte ich ihn für höchstens siebzehn gehalten, jetzt sah ich, dass er älter war, Anfang zwanzig vielleicht.
»Ja, und?« Ich fing an, die Sachen vom Beifahrersitz nach hinten zu werfen. Der Berg vollgeheulter Papiertaschentücher machte sicher keinen besonders guten Eindruck auf den Anhalter, ebensowenig wie die unappetitlichen Essensreste. Ich ärgerte mich über mich selbst. Die ganze Strecke über hatte ich mich zwar nach Gesellschaft gesehnt, aber das war kein Grund, kurz vor demZiel noch einen wildfremden Mann mitzunehmen. Zumal meine Tränen schon ungefähr seit Düsseldorf versiegt waren.
»Ich müsste in ein Kaff namens Jahnsberg«, sagte der Anhalter, und man konnte deutlich die Skepsis in seiner Stimme hören.
»Steig ein«, erwiderte ich lässiger, als mir zumute war, und legte eine angegessene Tüte Gummibärchen auf eine Zeitschrift auf dem Rücksitz. Es gefiel mir, dass er mich für eine Berlinerin hielt, die sich in diese finstere Provinz nur verirrt haben konnte. Dass es in Wirklichkeit umgekehrt war – nämlich ich eine finstere Provinzlerin, die sich nach Berlin verirrt hatte –, sah man mir wenigstens nicht an. »Bis Jahnsberg sind es noch fünfzehn Kilometer. Wo genau musst du denn da hin?«
»Zu meiner Mutter … Ähm, du kannst mich irgendwo in der Ortsmitte rauslassen.« Der junge Mann setzte sich auf ein rotes Gummibärchen, das ich übersehen hatte. »Ich frag mich dann so durch.«
»Da gibt es keine Ortsmitte«, belehrte ich ihn. »Jahnsberg besteht aus siebzehn Ortsteilen. Und die verteilen sich über Berg und Tal. Es wäre schon sinnvoll, den Ortsteil zu kennen, weil – mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es hier nicht weit her.«
»Das habe ich gemerkt. Siebzehn Ortsteile! Und ich dachte, das ist ein kleines Dorf. Meine Mutter hat nämlich immer vom idyllischen Landleben geträumt.«
»Da ist sie in Jahnsberg genau richtig«, bestätigte ich ihm, während ich Gas gab. Die lange Fahrt nur in Gesellschaft von Gummibärchen hatte mich gesprächig gemacht. »Obwohl man in der Regel versucht, das Ortsschildvon hinten zu sehen, sobald man den Führerschein hat. Da sagen sich nämlich nicht mal mehr Fuchs und Hase gute Nacht. Es gibt nur ein paar tausend Einwohner, und die heißen alle wie die Ortsteile. Quirrenberg, Ibbenbusch, Herzhof, Binscheid … Aber glaub nicht, dass alle Quirrenbergs in Quirrenberg wohnen und die Herzhofs in Herzhof – nein, es gibt Ibbenbuschs, die wohnen in Quirrenberg, Quirrenbergs in Herzhof, Binscheids in Ibbenbusch und Herzhof, Herzhofs in Helmbach, Helmbachs in Güntershoff …« Mir ging vorübergehend die Luft aus. »Und seit Generationen heiraten sie alle untereinander und sorgen damit für noch mehr Verwirrung. Was?«
Der Anhalter hatte sich geräuspert. »Und wie heißt du?«
»Schneider«, sagte ich überlegen. Er sollte ruhig wissen, dass ich kein Produkt dörflicher Inzucht war. »Natürlich gibt es in Jahnsberg auch Schneiders, Müllers und Schmitzens, wie überall.«
»Kalinke«, sagte der
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