Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
ich nicht der richtige Mann bin, um zu Ende zu führen, was ich begonnen habe.«
»Doch. Doch das sind Sie. Bist du, meine ich.« Carola wollte nicht zulassen, dass die Distanz, die er durch die förmliche Anrede zwischen ihnen aufbaute, noch größer wurde. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihn moralischeBedenken überkommen würden, sie musste improvisieren. »Ich … ich habe bei meiner Therapeutin angerufen und ihr alles erzählt.« Sie schluckte. »Sie sagt, das sei ein guter Anfang. Aber wenn Sie … wenn du mich jetzt im Stich lässt, ist alles umsonst gewesen.«
Hoffmann streichelte sanft über ihren gesenkten Kopf. »Glauben Sie mir, Carola, nichts würde ich lieber tun als Ihnen helfen, aber – ich darf das einfach nicht mehr tun. Jemand anders muss vollenden, was ich begonnen habe.«
Es klang so endgültig, dass Carola alarmiert den Kopf hob. »Am Samstag durftest du’s aber noch«, sagte sie. »Du hast gesagt, Gott will, dass du mich von meinem Leiden befreist, erinnerst du dich?«
Pfarrer Hoffmann nickte. Carola sah befriedigt, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Offenbar hatte er gerade ein Bild von ihnen beiden vor Augen, gleich hier vorne auf dem Küchentisch.
Er räusperte sich. »Unser lieber Herrgott hat mich nun für andere Aufgaben vorgesehen«, sagte er. »Er hat mich zu einem Menschenkind geführt, das meine Hilfe braucht.«
»Ich brauche deine Hilfe auch«, sagte Carola. Herrgott, konnte er denn nicht erst eine Sache zu Ende bringen, bevor er mit der nächsten anfing?
Pfarrer Hoffmann überhörte ihren Einwand. »Dieses Menschenkind hat in seinem Leben viel gesündigt. Es ist meine Aufgabe, sie auf den richtigen Weg zurückzuführen.«
» Sie? « Carola wurde hellhörig. Sie dachte sogleich an den anonymen Brief, den sie bekommen hatte. Sie sind nicht Pfarrer Hoffmanns einziges Häschen …
»Meine Maria Magdalena«, sagte Hoffmann mit einem Seufzer.
»Wie bitte?« Carola konnte ihm nicht mehr folgen.
»Ich werde kein Geheimnis daraus machen, auch wenn die Angelegenheit in dieser Gemeinde Anstoß erregen wird. Ich habe keine Vorurteile, denn Gott liebt alle Menschenkinder gleichermaßen, ganz gleich, was sie tun oder getan haben. Lydia hat jahrelang im Rotlichtmilieu gearbeitet. Sie hat mir jede Einzelheit gebeichtet. Sie musste ihren Körper verkaufen, um ihren Sohn ernähren zu können, und sie hat eine Menge Schuld auf sich geladen.«
»Wovon redest du da?«, fragte Carola.
»Lydia Kalinke ist eine Prostituierte«, sagte Pfarrer Hoffmann feierlich.
»Und wer bitte ist Lydia Kalinke?«
»Das ist die Dame, die ich zu ehelichen gedenke. Wenn meine Scheidung durch ist.«
Carola brauchte eine Weile, bis der Groschen gefallen war: Sie bekam gerade schlicht und ergreifend eine Abfuhr erteilt. Weil Pfarrer Hoffmann eine andere hatte.
Sie dachte an die Batterie Schwangerschaftstests oben im Bad und an den Aufwand, den sie betrieben hatte, um ihn ins Bett – oder vielmehr auf den Küchentisch – zu bekommen. Sie konnte nicht glauben, dass das alles umsonst gewesen sein sollte.
»Das kannst du nicht machen«, sagte sie tonlos.
»Ich kann und ich werde es tun«, sagte Hoffmann so laut und kraftvoll, als stünde er auf der Kanzel. »Es ist meine Aufgabe, Lydia wieder auf den rechten Weg zu führen und von ihren Sünden reinzuwaschen.«
Ich bringe ihn um, dachte Carola. »Und was ist mit mir?«
»In mir werden Sie immer einen guten Freund haben«, sagte Hoffmann salbungsvoll. »Der Herr hat mir gezeigt, wo meine Aufgabe liegt. Ich muss ein verlorenes Schaf wieder zurück an seinen Platz in der Gesellschaft führen.« Mit einem vertraulichen Augenzwinkern fuhr er fort: »Lydia hat eine Menge Schulden bei einem Individuum namens Ricky. Wenn sie das Geld nicht bis spätestens Silvester rüberwachsen lässt, hat er ihr Gewalt angedroht. Dem guten Mann sitzt das Messer wohl sehr locker. Lydia war vor Angst beinahe von Sinnen – zu viele Schlechtigkeiten hat sie in ihrem Leben bereits erfahren müssen. Als sie hörte, dass ich sie vor diesem Ungeheuer zu schützen weiß, weinte sie heiße Tränen der Dankbarkeit.«
Carola weinte auch, aber es waren keine Tränen der Dankbarkeit. Sie weinte vor Wut und Hilflosigkeit.
»Du verdammter Scheißkerl«, sagte sie.
Hoffmann sah sie erstaunt an. »Carola? Was haben Sie denn? Verstehen Sie denn nicht, dass hier ein Menschenkind meine Hilfe viel notwendiger hat als Sie? Wer soll denn diesem Ricky fünfzigtausend Mark bezahlen, wenn
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