Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
»Mein Namen ist Hagen«, sagte sie und verfiel automatisch in einen quäkenden, schrillen Tonfall. »Wiltrud Hagen. Ich rufe aus der Gemeinde Jahnsberg an und habe ein dringendes Anliegen, das ich nur mit dem Superintendenten persönlich besprechen kann.«
Zu ihrer Verblüffung wurde sie ohne nähere Erklärung weiterverbunden. Nun ja, der Superintendent war schließlich nicht der Papst.
Als sie seine ruhige, besonnene Stimme hörte, zögerte sie für einen Augenblick. Wenn sie jetzt weitermachte, dann brachte sie Benedikt womöglich um seinen Job. Wollte sie das wirklich?
»Ja«, knirschte sie. »Und das ist noch zu gut für ihn.«
»Hallo?«, fragte der Superintendent. »Wer ist denn da?«
»Hier ist Wiltrud Hagen aus Jahnsberg«, sagte Carola so hoch und piepsig, wie sie konnte. »Ich habe eine Beschwerdeüber unseren neuen Pfarrer vorzubringen. Herr Benedikt Hoffmann. Ich finde, Sie sollten wissen, dass er mehrere unschickliche Beziehungen zu Mitgliedern seiner Gemeinde unterhält.«
Der Superintendent am anderen Ende der Leitung schwieg.
»Wenn ich sage, mehrere, dann meine ich auch mehrere«, schrillte Carola. »Ich möchte keine Namen nennen, aber allein in dieser Straße sind es drei Frauen. Und ich weiß auch von einer vierten oben in Ibbenbusch!«
»Was genau verstehen Sie denn unter einem unschicklichen Verhältnis, Frau …?«
»Hagen«, ergänzte Carola. »Wiltrud Hagen. Na, was verstehen Sie denn unter einem unschicklichen Verhältnis, Herr Superintendent? Ich finde es jedenfalls nicht in Ordnung, wenn der Pfarrer – und er ist ja noch nicht mal geschieden, soviel ich weiß – den Frauen seiner Gemeinde den Kopf verdreht.« Ja, genauso würde Frau Hagen es auch ausgedrückt haben, dachte Carola zufrieden.
»Nun«, sagte der Superintendent. »Ich kenne Pfarrer Hoffmann, und ich weiß, dass er ein sehr gut aussehender Mann ist. Auch in seiner alten Gemeinde war er dadurch öfter Ziel von … romantischen Gefühlen. Von den Seniorinnen bis zu den Konfirmandinnen haben alle für ihn geschwärmt. Das ist leider nicht zu vermeiden.«
»Wir sprechen hier nicht von romantischen Gefühlen«, rief Carola und vergaß ganz zu sprechen wie Frau Hagen. Egal, ihre Wut reichte aus, um ihre Stimme in für sie völlig untypische Höhen zu jagen. »Der Kerl hat Affären mit mehreren Frauen gleichzeitig laufen. Er nutzt ihreprivaten Situationen aus, um sie ins Bett zu kriegen. Eine der Frauen ist erst seit ein paar Wochen Witwe, eine andere leidet unter der Belastung durch ihren kranken Mann. Und die dritte hatte ein paar Probleme in ihrer Ehe …« Carola holte tief Luft. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie so ein Verhalten bei einem Pfarrer dulden.«
»Sie wissen doch, wie schnell Gerüchte die Runde machen, Frau Hagen«, sagte der Superintendent. »Sie sollten ihnen besser nicht unbeschränkt Glauben schenken.«
»Das sind keine Gerüchte, das sind handfeste Tatsachen«, schnappte Carola. »Ich kenne jede dieser Frauen persönlich. Ich weiß es aus erster Hand!«
»Vielleicht wäre es dann sinnvoller, wenn sich die Damen direkt an mich wenden würden«, sagte der Superintendent. »Vorausgesetzt, sie wünschen eine Intervention meinerseits.«
Carola schwieg eine Sekunde lang überrumpelt.
»Wenn das nicht der Fall ist, würde ich vorschlagen, wir lassen die Sache lieber ruhen«, sagte der Superintendent in ihr Schweigen hinein.
»Wir lassen gar nichts ruhen!«, keifte Carola. »Der Pfarrer gehört seines Amtes enthoben!«
»Ich nehme doch nicht an, dass eine der Personen, über die Sie hier reden, minderjährig ist, oder?«, fragte der Superintendent.
»Nein. Jedenfalls keine der vier Frauen, von denen ich weiß. Aber …«
»Na, sehen Sie, dann liegt hier auch kein Grund vor einzuschreiten. Denn wenn wir es offiziell machen, dann müssen die betroffenen Damen ihre Identität preisgeben, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dasin ihrem Interesse wäre. Denken Sie daran, wie klein und beschaulich Jahnsberg ist.«
Carola fühlte sich wie ein Luftballon kurz vorm Platzen. »Der Pfarrer darf also weiter fröhlich in dieser unserer beschaulichen Gemeinde herumvögeln, ohne dass Sie etwas dagegen unternehmen?«, schrie sie. Weder für sie noch für Frau Hagen war eine derartige Sprechweise bezeichnend, aber sie fand es ungemein erleichternd, ordinär zu werden. Sie konnte auch noch deftiger werden, wenn es sein musste!
Der Superintendent blieb unbeeindruckt. »Wie gesagt, solange sich keine
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