Ehemänner
Geister miteinander stritten.
»Du bist doch weggegangen.«
»Und du hast mich ziehen lassen.«
Sie machte sich auf den Weg ins Bett. Am nächsten Tag hatte sie erst um fünf Uhr nachmittags einen Termin beim Arzt, den sie einmal im Monat aufsuchte, um auch im Alter für das Gleichgewicht zu sorgen. Sie konnte also ausschlafen, wenn die Stadt ihr keinen Strich durch die Rechnung machte. Der Tag brach an, und man hörte nichts als leise Atemzüge.
Amanda schlief noch, als ein Getöse losbrach, das man eher in einem Dorf vermuten würde als in der Stadt: Der Pfarrer der Kirche San Miguel Arcángel, gleich bei ihr um die Ecke, hatte begonnen, zum Namenstag des Heiligen Feuerwerkskörper in die Luft zu jagen.
Saldívars Geist kehrte zurück. Seit dreißig Jahren verdross sie nichts so sehr wie der Pfarrer mit seinem Feuerwerk, das frühmorgens den Himmel zerriss. Nichts hatte sich in der Pfarrei geändert. Der Vikar war noch derselbe wie früher und hatte im Alter nichts von seiner Feierbesessenheit eingebüßt, ja, es war eher noch schlimmer geworden. Saldívar begehrte auf. »Halt den Mund«, sagte Amanda, »du bist hier nur zu Besuch, und nicht einmal eingeladen.« Im Zimmer war es noch dunkel. Wieder krachte eine Rakete.
Sie schlief allein, und von allen ihren Einsamkeiten war diese die einzige, die ihr manchmal nicht behagte. Bei der ersten Explosion war sie hochgeschreckt, hatte die Augen aufgeschlagen und war rascher auf den Beinen gewesen, als sie brauchte, um sich zu orientieren. Zu Ehren von San Miguel begann das Feuerwerk an dem Tag schon so früh, dass sie nirgendwohin gehen konnte. Noch war es dunkel und kalt draußen, sehr zu ihrem Leidwesen, denn seit Saldívar sie überfiel, ängstigte sie nichts mehr als freie Zeit. Wenn sie ihn über ihren Körper streichen ließ, fürchtete sie, die dort aufgestaute Leere könnte ihr den Verstand rauben. Erneut detonierte ein Feuerwerkskörper.
Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte es ganz in der Nähe ihres Zuhauses ebenfalls einen Pfarrer gegeben, der liebend gern Feuerwerke zündete. Seitdem amüsierte sie der Radau, und anstatt zu schimpfen, war sie dankbar. »Wie gefühllos du warst, was für ein geistiger Trottel und seelischer Krüppel«, beschimpfte sie die Wärme, die Saldívar in ihr Bett gebracht hatte. Ein Seufzer der Sehnsucht durchzog ihren Körper von den Sohlen bis zum Scheitel. Sie war schon zu alt, um sich die Erinnerungen zu versagen. War das so schlimm? Wenn Saldívars Schatten an ihrer Seite schlafen wollte, sollte er doch, und basta. Nach all den Jahren, die sie es ihm verwehrt hatte, fand sie nun auf einmal Gefallen an seiner rätselhaften Gegenwart. Sie würde es ihm erlauben. Alles lieber, als mit sich selbst gerade jetzt zu streiten. Das Feuerwerk verstummte, und sie legte sich wieder hin und sank in den Schlaf, bis es zwei Uhr schlug.
Um vier Uhr holte ihr Betreuer sie ab, ein schmucker, junger Mann mit dunkler Hautfarbe, der sie begleitete, wenn sie ausging, und sie so behutsam behandelte, als könnte sie bei jedem Schritt zerbrechen. Amanda, die sich an ihm festhielt, tat so, als erbrächte sie ihm eine Gefälligkeit, obwohl sie genau wusste, dass sie auf seinen Arm angewiesen war, um mit dem gebotenen Stolz auf ihren zwar nicht hohen, aber unvermeidlich vorhandenen Absätzen laufen zu können.
Für den Arztbesuch hatte sie sich neue Schuhe angezogen, als sei das ein Garant für gesundheitliche Besserung. Sie glaubte nach wie vor, in den Füßen spiegele sich die Seele, und hatte sich vorgenommen, sich bis zu ihrem letzten Arztbesuch eine junge Seele zu bewahren. Sie trug eine helle Seidenbluse samt Perlenkette zum blauen Schneiderkostüm. Ihr dichtes silbergraues Haar passte perfekt zu den sanften Augen und der kleinen, vorwitzigen Nase. Sie war eine adrette alte Dame, und dass sie das auch wusste, war an ihrem Gang abzulesen.
Die Praxis lag im elften Stock und hatte eine atemberaubende Sicht. Amanda trat ein, nannte ihren Namen so, als spreche sie von einer griechischen Insel, und ging dann ans Fenster, um ihren Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Eines Tages, dachte sie, wird diese unermüdlich wachsende Stadt selbst das, was man jetzt noch vom Wald sieht, geschluckt haben, und all die Häuser dort unten werden Hochhäusern gewichen sein. Ob der Himmel dann endlich wieder klarer sein wird? Keine Ahnung, ob jemand diesen Tag erleben wird. Mir wird es jedenfalls nicht mehr vergönnt sein.
Sie hing noch diesen
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