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Ehemänner

Ehemänner

Titel: Ehemänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angeles Mastretta
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davon«, bat Dolores, inzwischen eine lächelnde, vielfach ausgezeichnete alte Dame, die sich dennoch ihren belustigten Blick auf jede Art von heterosexueller Liebe bewahrt hatte.
    Die Nichte hatte einen Stapel ausgedruckter E-Mails mitgebracht, damit Amanda sie lesen konnte. Es war eine endlose Litanei von ich küsse dich und bete dich an, ich vögele und umarme dich, ich lecke dich und sterbe, und am Ende stets ein nüchternes: Dein.
    Auf der Suche nach der Brille oder einem Namen mag das Gedächtnis versagen, aber niemals bei diesem Dein, das sich liest wie ein falsches Zeugnis, in den tiefsten Tiefen der Erinnerung vergraben.
    »Saldívar neigte auch zu diesem Dein oder ich liebe dich«, sagte Amanda. »1970 lebte man nicht anders als vor zweihundert Jahren, aber dass es so etwas noch im 21. Jahrhundert gibt, hätte ich niemals gedacht.«
    »Nicht wahr, sie klingen völlig gleich«, sagte Dolores.
    »Die ewige Liebe klingt meistens gleich und hält dann gerade mal drei Monate«, sagte Amanda, während sie den Schlüssel für ihr Kästchen suchte.
    Sie nahm die Briefe von Saldívars Urlaub am Meer heraus, die sie schon so viele Male gelesen hatte, dass sie meinte, mit ihm dort gewesen zu sein. Sie breitete zehn eng beschriebene Seiten aus, in Courierschrift mit einer Elektroschreibmaschine getippt. Es waren mehrere Briefe mit Datum vom 9. bis zum 14. April 1971. Fast alle endeten mit dem für sie unauslöschlichen Dein.
    »Früher kannte ich sie auswendig, aber inzwischen habe ich alles vergessen. Glaub mir, man überlebt den Schock«, sagte Amanda mit einem Lächeln. Sie lud beide Frauen zum Abendessen ein und spielte für sie Klavier, wobei die Arthritis wie weggeblasen schien, sobald sie die Finger auf die Tasten legte. Der gesellige Abend endete wie die Partys früher erst gegen drei Uhr morgens, und es floss nicht weniger Tequila als damals.
    Kaum war ihr Besuch durch die eine Tür verschwunden, erschien durch die andere Saldívars Geist. »An einem Sonntag?«, wunderte sie sich und versuchte, die Erinnerung mit den Händen zu verscheuchen. »Du könntest dir mal ein paar Tage Ruhe gönnen«, hätte sie ihre Erinnerung am liebsten angeherrscht, die sie verfolgte wie eine Melodie, die man sich nie richtig merken kann. Sie hatte es keinem erzählt, aber in letzter Zeit suchte er sie regelmäßig heim. Wie vor dreißig Jahren spazierte Saldívar, wann es ihm passte, durch ihre Wohnung, immer auf und ab, von einem Ende zum anderen. »Wer glaubst du, dass du bist?«, fragte sie in den leeren Raum hinein. »Willst du mich verfolgen bis ins Grab? Schau, das Grab ist schon sehr nah. Und wo bist du? In welchem Hafen übernachtest du?«
    Eigentlich wusste sie nicht viel über ihn. Manchmal hörte oder las sie Dinge wie, man habe ihm in irgendeiner Universität wer weiß was für eine Medaille überreicht, oder sie stieß auf einen Artikel, in dem es hieß, wie ausschlaggebend seine Ideen für den demokratischen Prozess des Landes seien. Dinge dieser Art. In Wahrheit herrschte ein einziges Chaos. Die Zeitungen ließen sich genüsslich darüber aus, wenn jemand ermordet wurde, und das Fernsehen zeigte auch noch, wie derjenige ermordet wurde. Sie hörte lieber Musik und blickte nicht weiter zurück als unbedingt nötig.
    »Weder deine hochtrabenden politischen Theorien noch überhaupt irgendwelche Theorien finden heute noch großartig Beachtung«, sagte sie in Richtung Fenster. »Es interessiert mich auch nicht sonderlich. Mein Interesse an dir beschränkt sich auf deine Arme, deinen Geruch, deine Beine und deine Manieren. Warum es leugnen? Dass du fortgegangen bist, ist eine Sache, eine andere zu behaupten, du hättest keine guten Manieren.«
    Sie hatte es sich im Sessel bequem gemacht, barfuss, in ein Schultertuch gewickelt, ohne sich die Ohrringe abzunehmen. Was für ein Blödsinn! Was mache ich hier nur, mit ihm reden, als stünde er vor mir? Ich werde immer verrückter. Wieder fuchtelte sie mit den Händen vor ihren Augen herum, um ihn zu vertreiben, und verließ die Sphäre, in der sie sich dazu hatte verleiten lassen, mit seinem Geist zu reden.
    Auch wenn die Toten noch leben, muss man die Geschichten mit ihnen einmal abschließen, sonst finden sie nie ein Ende. Sie wollte an Saldívar weder denken noch von ihm hören, aber wenn er in ihre Wohnung eindrang, als könnte er sich alles erlauben, erweckte er wieder ihren Zorn und ihre Leidenschaft. Nie fühlte sie sich dem Tod ferner, als wenn sie zusah, wie ihre

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