Ehemann für eine Nacht?
„Die Dowager Marchioness of Easterbridge ist eingetroffen, Sir.“
6. KAPITEL
Colin unterdrückte einen Fluch.
Sein vielversprechendes Zusammentreffen mit Belinda war beendet.
Seine Mutter ging in Halstead Hall ein und aus, ganz wie es ihr beliebte, doch sie weigerte sich, Kommunikationstechniken des einundzwanzigsten Jahrhunderts wie E-Mail oder SMS zu benutzen, um ihr Kommen anzukündigen.
Ihrer Miene nach zu urteilen, war Belinda genauso überrascht vom unerwarteten Erscheinen seiner Mutter wie er – aber mit Sicherheit aus anderen Gründen.
„Colin, was hat das zu bedeuten?“, wollte seine Mutter wissen, als sie ins Wohnzimmer geeilt kam. „ Dowager? Bitte weise dein Personal an, dass ich nicht herabgestuft wurde …“
Seine Mutter brach ab, als sie merkte, wer noch anwesend war.
Colin trat vor.
„Darf ich dir meine Frau Belinda vorstellen?“, sagte er, ohne sich mit Titeln oder Nachnamen aufzuhalten.
Schließlich war die eine die Marchioness of Easterbridge und die andere die Dowager Marchioness of Easterbridge.
Ein einziges Wort zur Unterscheidung verschleierte die breite Kluft, die zwischen den beiden Frauen bestand.
Seine Mutter wurde abwechselnd blass und rot, ehe sie den Mund öffnete und wieder schloss.
„Belinda wohnt hier im Haus.“
Normalerweise wäre das eine ziemlich komische Bemerkung in Bezug auf die eigene Ehefrau gewesen, aber sie alle drei wussten, dass die Situation ganz und gar nicht normal war.
„Ich dachte, du wolltest dir eine passende Frau suchen“, meinte seine Mutter kühl.
Offenbar bin ich nicht der Einzige, der bereit ist, die Dinge beim Namen zu nennen, dachte Colin spöttisch.
„Belinda ist in jeder Hinsicht passend, Mutter.“
„Sie ist eine Wentworth.“
„Tja, da hast du allerdings recht. Belinda hat nämlich bei unserer Heirat ihren Mädchennamen beibehalten.“
Anscheinend konnte heutzutage über alles hinweggesehen werden – außer über eine Familienfehde. Frauen mit den unkonventionellsten Lebensläufen hatten quer durch Europa in die Königshäuser eingeheiratet, aber wenn es böses Blut und Skandale zwischen Nachbarn gab, dann ging gar nichts mehr.
„Wie geht es Ihnen?“, meldete sich Belinda zu Wort.
Colin fand, dass sie unter den gegebenen Umständen in bewundernswerter Weise Haltung bewahrte, doch er fragte sich, ob ihre Frage ironisch gemeint war.
Schließlich war es nur zu offensichtlich, dass sich die ältere Marchioness im Moment ausgesprochen unwohl fühlte.
Belinda schaute Colin jedoch nicht an, sondern konzentrierte sich ganz auf seine Mutter.
„Colin hat recht damit, dass ich meinen Nachnamen behalten habe. Eine Verwechslung sollte leicht zu vermeiden sein, denke ich, wenn Sie Lady Granville bleiben und ich mich Lady Wentworth nenne.“
Seine Mutter, die Tweed, Seide und Perlen trug, betrachtete Belinda hochmütig. „Ja, aber Sie wären trotzdem die Marchioness of Easterbridge, nicht wahr?“
Colin bemühte sich, nicht genervt dreinzuschauen. „Ich bin sicher, Mutter, du wirst alles tun, damit Belinda sich wohlfühlt. Sie muss lernen, sich hier zurechtzufinden, und unser Haus ist riesengroß.“ Das Wörtchen unser hatte er kaum merklich betont. Der Landsitz war nun auch Belindas Zuhause, und seine Mutter würde sich mit der Realität abfinden müssen.
Belinda wandte sich ihm zu. „Ich habe einen Job in New York. Wie soll ich gleichzeitig bei Lansing’s arbeiten und hier wohnen?“
„Ja, Easterbridge“, stimmte seine Mutter ein. „Sag uns das, mein lieber Sohn.“
Colin lächelte Belinda an. „Du kannst dich ins Londoner Büro von Lansing’s versetzen lassen. Wir können unter der Woche in London leben und die Wochenenden in Halstead Hall verbringen.“
Großartig. Er war sehr zufrieden, auf diese Lösung gekommen zu sein – bis er Belindas Miene sah.
„Mit einer Versetzung könnte es schwierig werden“, wandte sie sich an seine Mutter und lächelte kühl. „Ich muss also vielleicht auf unbestimmte Zeit in New York wohnen bleiben.“ Scharf sah sie ihn an. „Colin und ich haben noch gar nicht im Detail über unsere Wohnverhältnisse gesprochen.“
„Sie wollen weiter einem Beruf nachgehen?“
Noch immer lächelte Belinda. „Ja, wenigstens so lange, bis ich nach der Scheidungsvereinbarung berechtigt bin, die Immobilien meiner Familie zurückzubekommen.“
Seine Mutter war entsetzt.
Belindas Entschlossenheit amüsierte Colin beinah. Er hatte kein zurückhaltendes Mauerblümchen geheiratet, so
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