Ehen in Philippsburg
jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben, alles wegen dieses elenden Idioten, wegen dieses besoffenen Motorradfahrers.
Alwin hielt nicht am Sebastian. Mit verweinten Augen konnte er nicht hineingehen. Zu Vera. Natürlich zu Vera. Er kramte den Schlüssel zu Veras Wohnung aus der Kartentasche des Autos, parkte seinen Wagen in einer Nebenstraße und rannte dicht an den Hauswänden entlang durch den Regen, der mit unverminderter Heftigkeit niederging. Atemlos kam er oben an, wurde so freudig wie noch nie empfangen, weil Vera glaubte, Alwin habe zu Hause endlich Schluß gemacht und komme nun für immer zu ihr. Er aber kam, um sich auszuweinen bei ihr, um sich trösten zu lassen. Und sie weinte mit ihm und tröstete ihn bis in den Vormittag hinein.
Als Alwin, nachdem er sich beim Friseur hatte rasieren lassen, in seiner Wohnung eintraf, sagte Ilse, gerade sei vom Krankenhaus angerufen worden, der Motorradfahrer sei gestorben.
Alwin saß den ganzen Tag und schaute vor sich hin. Ilse versuchte immer wieder, mit ihm zu sprechen, sie drängte ihn, eine widerspruchsfreie Schilderung des Unfalls aufzusetzen, die Polizei habe angerufen, daß er zur endgültigen Protokollierung in den nächsten Tagen erscheinen müsse, darauf müsse man sich vorbereiten, sagte Ilse, sonst gebe es womöglich noch Scherereien, er sei doch Rechtsanwalt, er könne es sich nicht leisten, auch nur den geringsten Makel auf sich ruhen zu lassen, bitte, er möge doch bloß einen Augenblick an seine politische Karriere denken, an die Landtagswahlen, es hänge jetzt alles davon ab, daß er rasch und umsichtig handle, daß der Unfall richtig dargestellt werde. Alwin sagte, daran sei er jetzt nicht interessiert. Und starrte in den Regen hinaus. Und in die schwarzen Bäume. An deren längst blattlosen Zweigen rüttelte immer noch eigensinnig der Wind.
IV
Eine Spielzeit auf Probe
1
Frau Färber hatte Herrn Klaff mit sofortiger Kündigung gedroht, aber Herr Klaff war unnachgiebig geblieben, er würde sein Zimmer selbst in Ordnung halten; er hatte Frau Färber einfach verboten, die Schwelle seines Zimmers auch nur zu berühren, solange er seine Miete bezahle; weder die Drohung mit der Kündigung, noch ihre Bemerkung, daß sie darüber sofort mit ihrem Mann sprechen werde und daß der dann dem Herrn Klaff schon auf die Schliche kommen werde, nicht diese Bemerkung und auch nicht der Hinweis, daß sie Beziehungen zur Polizei habe, hatten auf Herrn Klaff Eindruck gemacht: und was war ein Untermieter für Frau Färber, wenn sie sein Zimmer nicht mehr betreten durfte, wenn sie seine Papiere, seine Photographien, seine Bücher und seine Anzüge nicht mehr berühren durfte, wenn sie nichts mehr von ihm erfuhr, wozu dann überhaupt noch Untermieter, dann konnte sie doch die Zimmer genauso gut als Lager- und Abstellräume vermieten! Und wie unheimlich, ein Mensch, der im Haus wohnt, ohne mit einem zu reden!
Und alle Befürchtungen, die Frau Färber hatte, die sie nach links und nach rechts weitertrug, wurden bestätigt, ja sogar übertroffen von der Wirklichkeit. Was war dieser Herr Klaff? Ein Selbstmörder. Jawohl. Der Winter war kaum recht vergangen, noch war der Regen mit Schnee untermischt, da hatte Hans Beumann, der beste aller Untermieter, einen Brief von Herrn Klaff erhalten, der ihm anbot, mit den Papieren und Büchern, die er hinterlasse, nach Belieben zu verfahren; sonst besaß er ja nichts. Wenn dieser Brief in seine Hände gelange, habe er, Klaff, alles hinter sich. Herr Beumann, den er seinen einzigen Bekannten nennen müsse, möge doch hinaufgehen, wenn man Klaffs Überreste weggeschafft habe. Beumann hatte Frau Färber verständigt. Hatte nicht gewagt, Frau Färber hinaufzubegleiten. Ein Auto war vorgefahren, Herr Klaff war weggebracht worden. Beumann hatte alle Bücher und Papiere in sein Zimmer schaffen lassen. Frau Färber hatte sich im Polizeigebäude für drei Tage entschuldigt, sie wollte das Zimmer gründlich reinigen.
Die vielen Bücher stapelte Beumann sorgfältig in den Ecken seines Zimmers auf. Dann nahm er die drei Wachstuchhefte aus dem großen Couvert, sie waren alle mit einer schwer lesbaren Handschrift vollgeschrieben, einer Handschrift aus sich verkriechenden kleinen Buchstaben; der Schreiber mußte sich eng übers Papier gebeugt haben beim Schreiben, der Leser mußte das gleiche tun. Das dem Datum nach letzte dieser Hefte trug die Überschrift: »Eine Spielzeit auf Probe.« Hans schlug das Heft auf. Bevor er aber zu
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