Ehen in Philippsburg
lesen begann, ging er zur Tür, um zu prüfen, ob sie auch verschlossen sei.
Ich bin Pförtner des Philippsburger Staatstheaters geworden. Mein Chef ist der Verwaltungsdirektor des Philippsburger Staatstheaters, Herr Dr. h. c. Josef Mauthusius. Ich bin für eine Spielzeit eingestellt worden. Auf Probe, hat mein Chef gesagt. Wenn ich einen berühmten Künstler zu meinem Chef ins Büro führe, sagt mein Chef, daß er diesen Augenblick schon seit vielen Jahren herbeigesehnt habe, seit jenem Augenblick eben, da er zum erstenmal von dem großen Meister gehört habe. Mein Chef sagt: Maestro. Dabei breitet er beide Arme aus, greift dann mit der rechten Hand nach der Rechten des großen Künstlers und legt ihm die Linke herzlich um die Schulter. Gleichzeitig bedient er sein Gesicht: hält es in strahlendem Überschwang bis dicht unter die Ohren. Ich glaube, daß er insgeheim mit seinen Ohren trainiert, um in Zukunft auch noch die Ohren in fröhlichem Begrüßungstaumel nach vorne schwenken zu können. Anzeichen dafür bemerkte ich neulich, als ich den Landesvorsitzenden einer christlichen Partei in seine Arme führen durfte. Muß übrigens ein enger Freund meines Chefs sein. (»Körperbau und Charakter«.)
Ich bin natürlich mit genauen Anweisungen versehen worden, welche Gäste ich lediglich durch das Pförtnerfenster hindurch mit der Zimmernummer zu beliefern habe und welche ich hinaufbegleiten muß. Ich liebe es nicht, mein Pförtnerzimmer am Bühneneingang des Theaters zu verlassen, weil ich nie weiß, was ich mit diesen schweratmenden Männern sprechen soll auf dem Weg von der Pforte bis hinauf in das Zimmer meines Chefs. Einen Aufzug gibt es nicht in diesem riesigen Haus. Es ist vor hundert Jahren von den ehrgeizigen Philippsburger Fürsten gebaut worden. Die Philippsburger sind zwar ein altes Geschlecht, aber sie sind nicht einmal von Napoleon zu Königen gemacht worden. Im Theater ist für ihre noch lebende Nachkommenschaft immer die alte Hausloge reserviert. Sie ist zwei-, dreimal im Jahr von zarten kleinen Menschen besetzt. Meist sind es ältere Fräuleins, brüchige Wesen, denen das Geschehen auf der Bühne nur noch mit Hilfe von großen Hörapparaten und Ferngläsern ein bißchen näher gebracht werden kann.
Ja, was soll ich den gutgekleideten Herrn erzählen, wenn ich sie die endlos lange Treppe hinaufbegleite? Erwarten sie überhaupt, daß ich etwas sage? Für hingeworfene Bemerkungen der gewöhnlichsten Art ist der Weg zu lang, weil solche Bemerkungen ja keine Antwort, also auch kein Gespräch hervorrufen; dann müßte ich auch fürchten, diese weitgereisten Herren mit so unnötigen Worten zu langweilen oder gar zu belästigen. Um aber den Grund für ein richtiges Gespräch zu bereiten, dafür ist dieser Weg zu kurz. Mag sein, daß schon einige dieser Herrn eine abschätzige Bemerkung über mich nicht unterdrücken konnten, wenn sie bei meinem Chef eingetreten waren. Leider kenne ich allmählich die Meinung meines Chefs nur zu gut, als daß ich nicht wüßte, wie sehr ihm alles behagt, was gegen mich vorgebracht wird. Man sage nicht, daß ich mich überschätze, daß ein Verwaltungsdirektor etwa keine Zeit habe, an den Pförtner am Bühneneingang zu denken; man wende nicht ein, daß ein Verwaltungsdirektor ganz andere Aufgaben habe! Er hat sie vielleicht – ich weiß es nicht –, aber er stellte sie zurück. Ich bin ihm wichtiger. Ich bin schließlich der einzige Angestellte des Hauses, der ein bißchen gegen seinen Willen eingestellt wurde. Er war dagegen, weil ich noch keine dreißig Jahre alt bin, und weil ich es nur einer Straßenbahn zu verdanken habe, daß mir das linke Bein fehlt. Der Verwaltungsdirektor ist durchaus dafür, daß sein Pförtner nur noch ein Bein hat, aber er möchte, daß das andere Bein von einer Granate weggerissen worden wäre, möglichst an einem Ort mit einem klingenden Namen, Stalingrad, Tobruk oder Narvik; vielleicht wäre er auch schon mit Odessa oder Dünkirchen zufrieden, ich aber konnte lediglich die Straßenbahnhaltestelle Bebelstraße vorweisen (auch noch Bebelstraße!), und keine mächtige Granate war bei mir im Spiel gewesen, sondern lediglich ein veralteter Straßenbahnwagen. Hätte ich versuchen sollen, Herrn Dr. Mauthusius zu beweisen, daß dieser Wagen längst aus dem Betrieb genommen worden wäre, wenn der Krieg nicht und so weiter… daß also auch ich eine Art Kriegsopfer bin, weil ja die viel zu alte Bremse versagte!
Ich eigne mich nicht zu solchen
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