Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
ganze Zeit in den Rückspiegel geschaut hatte? Und wenn sie’s gesehen hatte, wenn man sie als Zeugin vorlud, würde sie es sagen? Er hatte ja Kontakt mit ihr gesucht, sie hatte ihn nicht ein einziges Mal angesehen. Also hatte sie es gar nicht bemerkt! Vom Krankenhaus fuhr Alwin wieder zur Unfallstelle zurück. Die Polizei war eingetroffen und hatte alles zu Protokoll genommen. Alwin machte seine Aussagen: er war rechts gefahren, mit mäßiger Geschwindigkeit, plötzlich torkelt von der anderen Seite ein Licht auf ihn zu, er will ausweichen, das , gelingt ihm auch fast, aber an der linken Wagenseite streift der Motorradfahrer doch noch, vor allem am hinteren Kotflügel, das muß ihn zu Fall gebracht haben. Wenn Alwin nicht geistesgegenwärtig ausgewichen wäre, na ja, das kann man sich schon vorstellen, was dann mit dem Betrunkenen passiert wäre. Auf die Frage, ob er schon auf größere Entfernung gesehen habe, daß auf der anderen Straßenseite ein Fahrzeug entgegenkomme, antwortete er mit Ja. Nach diesem »Ja« suchte er Céciles Blick. Sie stand und schaute zu Boden, wo die Silhouette des Gestürzten von wasserfester Kreide bezeichnet war, sogar die weit nach vorne gefallenen Hände waren genau zu sehen. Bevor Cécile und Ilse wieder im Auto Platz nahmen, breitete Alwin zwei Decken über die vom Blut des Verletzten besudelten Sitze. Er führte immer zwei Decken mit im Auto. Ilse war darüber erstaunt. Alwin sagte verlegen, man wisse nie, wozu man sie brauchen könne. Dieser ärgerliche Vorfall beweise es ja. Er ärgerte sich jetzt, weil er die Decken nicht ausgebreitet hatte, bevor der Verletzte hineingelegt worden war. Dieser Arzt hatte ihn eingeschüchtert. Mit einem tonlosen Gutnacht verabschiedete sich Cécile vor dem Haus, in dem sie wohnte. Auf Ilses und Alwins Reden gegen den Betrunkenen hatte sie kein Wort entgegnet. Alwin war dem Weinen nahe. Immer wieder stachelte er sich zu neuen Reden auf, erzeugte Wut in sich und Empörung, um das Gefühl unsäglicher Bedrückung loszuwerden, das ihn beim Anblick des Gestürzten überfallen hatte, eine Niedergeschlagenheit, die wie eine Lähmung in ihm wuchs und ihm das Wasser in die Augen trieb. Er könne jetzt noch nicht schlafen, sagte er, als sie zu Hause vorfuhren, Ilse möge bitte allein hinaufgehen. Erst als er grob wurde und sie anschrie, daß er ja nicht ihr Gefangener sei (ein ganz sinnloser Aufschrei, aber ihm fiel nichts anderes ein, er konnte jetzt einfach nicht mit Ilse in die Wohnung gehen, als wäre nichts gewesen, konnte ihre nüchternen Überlegungen nicht anhören, die vor Klugheit strotzten, aber ihn nicht trösteten), erst als er sie fast gewaltsam aus dem Auto drängte, ging sie (nicht ohne ihm zu sagen, daß sein Benehmen kindisch sei). Er fuhr zum Nachlokal Sebastian. Er fuhr ganz langsam. Ich kann doch nichts dafür, warum soll ich nicht weinen, warum versteht Ilse mich nicht, ich heule jetzt, es sieht mich ja keiner, dieser Idiot, dieser Vollidiot von einem Motorradfahrer, besoffen wie ein Vieh, oh, so eine Gemeinheit, Onkel Alfons hat auch ein Kleinmotorrad, aber der trinkt nicht, der fährt auch nicht nachts um drei Uhr im Regen herum, das ist doch kein Fahrzeug, verbieten sollte man diese Insekten im Straßenverkehr, wenn er jetzt stirbt, bin ich geliefert, das werde ich nicht mehr los, nie mehr, vielleicht läßt sich Ilse scheiden, von mir aus, ich brauche sie nicht mehr, ich tauche unter, weg in eine andere Stadt, genieße mein Leben, Scheißehrgeiz, warum denn, dieser Idiot, wenn ein Autofahrer betrunken ist, bitte, der hat vier Räder, fällt nicht um, wenn er gegen eine Hauswand fährt, ist er nicht gleich tot, aber mit so einem lächerlichen Fahrrad, Fahrrad mit Insektenmotor, der fällt um, wenn man ihn bloß anrührt, die armen Leute halt, so ist es, sie sind überall im Nachteil, unsereiner hat Karosserieschaden und der ist tot, wie der geschnauft hat, die ganze Nase voll Blut, geprustet, als wäre er mit dem Kopf im Wasser, dieser verdammte, ganz verdammte Vollidiot, dieser arme Hund, dem hat sein Alkohol den Strick gedreht, das hat jeder gerochen, aber das Geld, das ein feiner Mann gewonnen hat, das ihm den Kopf vernebelte, das stinkt nicht, und keiner kann feststellen, daß er nach Cécile schaute, bitte, beweise mir einer, daß ich die Augen nicht auf der Straße hätte, den möcht’ ich sehen, oh, Cécile, die weiß es, aber sie sagt nichts, ihr Mundwinkel hat auf und ab gezuckt, als sie den Gestürzten sah, die will

Weitere Kostenlose Bücher