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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Das konnte er doch als einen willkommenen Anlaß benützen, die Demonstration seiner Erregung noch weiterzutreiben; ich machte mich gewissermaßen zum Trainingspartner, zum Punchingball. Und was tat er? Er zog nach. Sein Mund geriet in rülpsende Bewegung. Wie die Geschlechtsteile eines gebärenden Rindviehs, dachte ich. Seine Schultern stiegen hoch, überstiegen schon fast den Kopf, bald mußten sie über dem Scheitel dröhnend zusammenstoßen; gleichzeitig zerrte er sein Gesicht noch weiter in die Breite, die Ohren wanderten nach hinten, ob sie sich wohl am Hinterkopf trafen? Ich mußte meine Hände zurückhalten, sonst hätten sie ihm Beifall geklatscht!
     Sich so sehr durchschaut zu sehen, hätte ihn mit Recht geärgert. Ärgerlich war er ohnedies. Das sah ich an seinen roten Augen. War er gar seinen gewaltigen Bewegungen so verfallen, daß seine Stimmung von ihnen mitgerissen wurde? Das mochte ich einem Virtuosen seines Ranges nicht unterschieben.
     Ich beschloß, das Zimmer zu verlassen. Er war jetzt doch so angeregt, daß er des Zuschauers nicht mehr bedurfte. Bevor ich die Türe schloß, wies ich noch mit einer schüchternen Hand zum Spiegel hin. Wahrscheinlich hat er auch das falsch verstanden. Ich hörte ihn noch schreien, als ich schon, vorsichtig gehend, unten an der Pforte angelangt war. Ich überlegte, was ich tun würde, wenn jetzt einer der gutrasierten Besucher käme und den Chef zu sprechen wünschte.
     Es kamen aber – Gott sei Dank dafür – an diesem Tag nur noch Schauspieler, die nach Briefen fragten oder Briefe hinterlegten, die ich weiterbesorgen sollte. Eine Dame gab Blumen ab für den Oberspielleiter. Leider ist es mir nicht erlaubt, solche Geschenke zurückzuweisen, obwohl ich weiß, daß jeder Mensch Blumen verdient, nur unser Oberspielleiter nicht. Ich nahm also die Blumen an, legte sie aufs Fensterbrett, stellte mich unauffällig davor, als wollte ich aus dem Fenster sehen, und brachte im Blätter- und Blütengewirr kleine Zerstörungen an. Mehr vermag ich nicht. Hl Um sechs Uhr wurde ich abgelöst von meinem viel älteren Kollegen Birkel (der einen Fuß – wie es sich gehört – vor Verdun verloren hat). Er sah die Blumen liegen, schüttelte den Kopf und stellte sie in eine Vase, die er dann auch gleich mit Wasser füllte.
     Ich sagte auf Wiedersehen und ging. Gestern haben sie in Indochina wieder angegriffen. Die anderen haben sich natürlich verteidigt. Natürlich? So etwas geht natürlich nicht ohne Tote ab. Natürlich. Mein Chef sagt, Deutschland sei das Herz Europas. Indochina ist das Herz… wessen? Ist mein Herz. Und Korea ist mein Herz. Und alle Soldatenfüße trampeln in meinem… na ja, eben darin herum. Soll ich das meinem Chef sagen, wenn er mich fragt, was ich von der politischen Lage halte. Ich tu’ so, als gäbe es eine politische Lage, und dann sage ich, daß ich von jener Lage nichts verstünde. Ich weiß aber, daß es keine politische Lage gibt. Es gibt nur unsere Lage, eine ziemlich unerträgliche Allerweltslage. Wenn ich Vertrauen hätte. Zu Gott, zum Beispiel. Aber wie soll ich mir Gott vorstellen? Und zum blinden Vertrauen bin ich zu… zu…

    »Morgen hält der Chef einen Vortrag im Brauhaus«, sagte Herr Birkel, als er mich heute ablöste. »Da gehen Sie sicher nicht hin, nicht wahr!« Er lächelte breit. Er hätte vielleicht viel bessere Augen, wenn sie nicht durch die dicken Brillengläser entstellt würden. »Sie haben das ja nicht nötig«, sagte er, »Sie wissen ja Bescheid.«
     »Ach, Herr Birkel«, sagte ich und zuckte mit den Schultern.
     Herr Birkel ist in der gleichen Partei wie der Chef. Der Chef sei jetzt im Landesvorstand, sagte er. Was das bei den Etatverhandlungen bedeute, brauche er mir wohl nicht erklären. Der Intendant sei bei den Sozialisten, also sei auch von der Seite nichts zu befürchten. Herr Birkel rieb sich die dicken Hände, zog seine Stulpen über die Ärmel und begann, die Telephonnotizen zu studieren, die ich während meiner Dienstzeit gemacht hatte. Dabei entfernte er den Kopf schräg vom Papier und musterte mich einige Male mißgünstig über die Brillenränder hinweg. »Was soll das nun wieder heißen?« Ich beugte mich über das Papier und las die Zeile, auf die er seinen Finger gestellt hatte: »Mimi soll King anrufen. Hm.«
     »Wer ist Mimi? Wer ist King? Was heißt: Hm?« fragte Herr Birkel und ließ seine Stirne faltig drohend zur Nasenwurzel wandern. Er wußte natürlich genau, daß unsere Salondame Mimi und

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