Ehen in Philippsburg
unser Oberspielleiter King genannt wurde, aber daß ich, der Neuling, so was schriftlich, in einer geradezu dienstlichen Notiz festgehalten hatte, erregte seinen Ärger. Ich lachte, kam ihm albern entgegen, das versöhnte ihn.
Die Straßenbahn war überfüllt wie immer um diese Zeit. Einer hielt seine Zeitung breit vor sich hin und fünf oder sechs Augenpaare verfingen sich in den tanzenden Zeilen. In der Zeitung steht jeden Tag das gleiche. Nur Namen und Orte ändern sich. Ich wollte nicht hinsehen. Aber die Zeilen und Bilder fingen mich ein. Politiker lächeln immer, wenn sie photographiert werden. Eisenhower kann’s am besten. Von Ohr zu Ohr spannt sich sein quappiges Grinsen. Auch die Augen umgibt er mit Grinsefältchen. Ich träumte schon von diesem Lächeln. Zuerst sah ich einen russischen Offizier, der mit seinem Wagen aus dem Kasernentor bog und auf mich zufuhr. Er sah mich an. Seine Mütze saß waagrecht über den Augen. Der Mund war waagrecht, und waagrecht das Kinn. Ich winkte mit der eingebeugten Linken vor der Brust, den rechten Arm warf ich weit hinaus, so spielte ich, frierend vor Ungewißheit, Verkehrspolizist, um den Offizier zum Weiterfahren zu veranlassen in die Stadt, wo ihn sicher ein Mädchen erwartete. Er aber stieg aus, kam auf mich zu, und da war es ein amerikanischer Offizier, und er lächelte. Das Lächeln à la Eisenhower. Rot triefte ihm Kaugummi in vielen Fäden aus den lächelnden Mundwinkeln. Kleine Fallschirmjäger wippten an den blutroten Gummiseilen. Divisionen kleiner Fallschirmjäger sprangen aus dem breiten Lächeln ä la Eisenhower und baumelten in die Tiefe. Und alle waren tot. Die roten Gummiseile waren nicht um ihre Körper, sondern um ihre Hälse geschlungen. Und immer neue Fäden spulten sich aus dem jovialen Lächelmund… Mein Zimmer hat keine Wände. Auch mein Schlaf hat keine Wände. Immer sind Gesichter unterwegs zu mir.
Zirkulation ohne Störung. Lügen weich eingebettet in Halbwahres. Winternachmittag in einem Zimmer, das ein bißchen zu warm ist. Widersprüche liegen faul in den Ecken und erheben sich nicht. Urteilt man nach dem, was gesprochen wird, so sind alle zufrieden. Ein glücklicher Tag also. Wenn nicht am Abend noch oder in der Nacht der Mann etwas sagt, was er denkt.
Ich bin doch ins Brauhaus gegangen, um den Vortrag meines Chefs zu hören. Was soll ich tun, wenn ich entlassen werde? Ich rauche täglich zwanzig Zigaretten. Und Hildegard verdient in der Buchhandlung nicht mehr als ein Taschengeld. Jedem die Wahrheit sagen, das kann sich ein Raucher, der auf seine Zigaretten angewiesen ist, nicht leisten.
Birkel wollte ich auch treffen mit meinem Entschluß, in die Versammlung zu gehen. Er machte ein schlimmes Gesicht, als er mich sah. Witterte Konkurrenz. Vielleicht fürchtete er sogar, ich würde jetzt auch in die Partei eintreten. Dann hatte er mir nichts mehr voraus. Schließlich würde ich sogar auch noch sonntags vor der Kirche warten, bis der Chef an mir vorbeigegangen wäre!
Ich setzte mich so, daß mich Dr. Mauthusius sehen mußte. Vornehme Herren füllten den Saal. Aber auch ein paar Reihen Angestellter. Die saßen aufrechter als die korpulenten Herren, streckten die Köpfe hoch und ließen ihre Gesichter vor Aufmerksamkeit und Spannung leuchten. Wahrscheinlich mußten auch sie bemüht sein, von ihren Chefs bemerkt zu werden. Dann und wann schoben sich modisch aufgemachte Herren durch die Saaltür, Juniorchefs! Sie spielten mit ihren Autoschlüsseln an den Westentaschen herum, bis sie sich setzten. Jeder tat so, als finde er das Täschchen nicht gleich, als könne er jetzt mit seinen Gedanken auch nicht beim Autoschlüssel sein, weil er den Kopf um- und umzuwenden habe, all die lieben Freunde und Bekannten im Saal zu begrüßen. Das Rednerpult stand auf der Bühne, flankiert von zwei Tischen, an denen würdige Herren saßen, rote Gesichter meist, in denen oft auch weiße Bärte hingen. Später trat mein Chef energisch durch die Saaltüre und ging schnurstracks nach vorne. In den vorderen Stuhlreihen stiftete sein Erscheinen herzliche Unruhe. Das wurde auf der Bühne bemerkt. Im rechten Augenblick erhob sich dort einer, trat zum Pult und schüttelte eine handliche Glocke heftig durch die Luft. Begrüßung des Redners. Begrüßung der Gäste. Und das auch mir nicht mehr unbekannte: »Wir freuen uns ganz besonders, heute abend…«
Ich beobachtete während der Begrüßungsansprache meinen Chef. Er hatte sich von seinen Bekannten in
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