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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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allzu weit konnte sich in diesen Wohnungen sowieso niemand zurückziehen. Die Familie, bei der Johanna in Untermiete war, hatte es natürlich am schönsten. Die bekamen für jeden Herrn, den Johanna mitbrachte, fünf Mark. Daß sie sich mit Johanna gut stellten, kann man verstehen, wenn auch neidische Nachbarinnen die fünf Mark als ein Sündengeld bezeichneten. Streit gab es nur, wenn Otto (das war das Oberhaupt jener Familie) am Morgen behauptete, Johanna habe in der vergangenen Nacht fünf Herren im Bett gehabt, sie aber nur von drei oder vier Herren die fünf Mark abliefern wollte. Aber man einigte sich immer wieder. Am meisten schienen die Nachbarn Johannas Mieterfamilie um die Nachmittage mit Johanna zu beneiden, das war in Frau Färbers Erzählungen nicht zu überhören. Am Vormittag schlafe sie ja, entfernten sich doch die letzten Herren oft erst im Morgengrauen. Aber so um zwei, drei, halb vier Uhr nachmittags, je nachdem, da stehe sie auf, werfe ihren rostroten prächtigen Morgenmantel über ihren bloßen Leib, verlasse ihr Zimmer, benutze die Toilette und dann das Bad. Otto, das Familienoberhaupt, war Flaschnermeister, er war der einzige in der Straße, der sich etwas einrichten konnte, was man, zumindest in der Traubergstraße, ein Bad nannte. Diesem Umstand hatte er es ja auch zu danken gehabt, daß Johanna bei ihm eingezogen war, denn ohne Bad, habe sie gesagt, könne sie es nicht machen. Dann badete sie also. Lang und laut. Es sei eine Freude, ihr zuzuhören. Aber – und jetzt neigten sich die Köpfe der Erzähler und ihrer Zuhörer geradezu andächtig zueinander, nicht aus Scheu, sondern aus Innigkeit und Teilnahme, und auch Frau Färber rückte näher, wenn sie darauf zu sprechen kam – danach komme sie in die Küche, zur Familie. Da setze sie sich auf den Tisch, stelle die Füße auf einen Stuhl, die Füße steckten barfuß in weinroten Pantöffelchen, und dann lasse sie auch ihren Morgenmantel weit offen, grad wie es sich gebe. Und was sie alles zu erzählen wisse! Von den verschiedensten Herren! Wie die sich bei ihr aufführten, davon könne sie stundenlang berichten, erfahre sie doch jede Nacht Neues dazu. Klatschzirkel bildeten sich in Ottos Wohnung, Erna, seine Frau, war ein gesprächiges Wesen und sonnte sich in Johannas Ruhm. Oft ziehe Johanna dann ihren Morgenmantel ganz aus, um den versammelten Frauen an ihrem Körper mit der und jener Einzelheit und Spur zu belegen, was sie gerade erzählt hatte. Und wenn man sich dann sattgehört habe und mit heißem Kopf die Ottosche Wohnung verlasse, stolpere man über die Kinder, die in Trauben an der Wohnungstür hingen, um auch ein bißchen was zu erfahren oder wenigstens Johannas Stimme zu hören. Frau Färber versäumte es nie, darauf hinzuweisen, daß ihr Mann mit Johanna noch nichts gehabt habe und nie etwas haben werde. Hans sah Herrn Färbers gelbliches Gesicht vor sich und glaubte an die Unantastbarkeit der Färberschen Ehe. Herr Färber hatte ja auch so viel mit seinem Häuschen zu tun, immer war etwas zu reparieren, auszubauen oder zu vernageln, manchmal schien es, als wolle Herr Färber sich für alle Lebenszeit über die Treppen, Fugen, Kanten und Leisten seiner Wohnung neigen, um durch Betasten, Streicheln und Beschwören alles zu heilen, was etwa durch Gebrauch und Zeit schadhaft geworden war. Und trotzdem spielte Johanna wahrscheinlich auch in dieser Ehe eine Rolle, wie sie ja vielleicht für die ganze Straße eine Kraft bedeutete, eine Art unterirdisches Meer, von dem manches Wässerlein unter Sonne und Mond zehrte, ohne es wahrhaben zu wollen. Sie war für die Bewohner der Straße nichts anderes als eine etwas näher gerückte platonische Idee, in Gedanken an sie fanden Verwirklichungen statt. Und der Moral genügten die Trauberger doch weit mehr als die, die Johannas eigentliche Kundschaft stellten; das waren ganz sicher zum allergeringsten Teil Bewohner dieser Straße, da sich ein Mann, der hier wohnte, eine solche Ausgabe alle Schaltjahre wirklich nur einmal leisten konnte. Dreißig Mark nur so fürs Bett, nein, das hätte das hausväterliche Gewissen dieser Männer nicht zugelassen, und ihre Weiber hätten mit Recht darauf hingewiesen, daß man das, in etwa wenigstens, doch auch viel billiger haben könne. Wäre dieses finanzielle Hindernis nicht gewesen, vielleicht hätten dann alle Pakte, die Johanna mit den nachbarlichen Ehefrauen geschlossen hatte, nichts genützt, so aber mochten sie schon ihre Wirkung haben. Wer aber die

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