Ehen in Philippsburg
der Himmel seit Tagen aussah wie eine Brandblase. Er trug Anzug und Krawatte und hatte alle Knöpfe, die zu schließen waren, geschlossen. Die Frauen schickte er weg. Anne ging rasch und freiwillig, Frau Volkmann aber betonte zuerst noch, daß sie sowieso nicht dageblieben wäre, dann zog sie sich, mit ihren Pudeln spielend, in die grüne Tiefe des Gartens zurück.
Herr Volkmann hob sein Gesicht, lächelte Hans eine Zeitlang an und schabte mit einem weichen Zeigefinger in seinem Gesicht herum, daß sich der Zeigefinger, obwohl er kaum auf Knochen stieß, nach allen Richtungen abbog. Hans bewunderte diesen Mann, dieses schüttere Männlein, das es sich leisten konnte, zu schweigen, zu lächeln und einen anzuschauen. Für wen lebte der eigentlich? Vielleicht würde er, fragte man ihn, antworten: für meine sechstausend Arbeiter, für meine Fabrik! Vielleicht würde er sogar sagen: für meine Familie, für Anne. Hans ließ sich von einer Schnake ablenken, folgte ihrem Getanze mit der Hand, schlug zu, verfehlte sie, schaute schräg nach oben in die grünschattige Wirrnis der Volkmannschen Parkbäume, hörte plötzlich, als hätte es erst jetzt eingesetzt, das harte Gezeter der Vögel, die man nicht sah, so daß man hätte glauben können, die Äste, die Blätter vollführten diesen stets gleichbleibenden, fast maschinellen Lärm. Gott sei Dank hatte ihn Herr Volkmann jetzt lange genug fixiert; er begann zu sprechen. Hans’ Gesicht wurde heiß, er spürte seine Brauen, seine Lippen, seine Nase bis in die äußersten Enden: Herr Volkmann wollte für den Industrieverband, dessen Präsident er war, einen Pressedienst einrichten, und Hans sollte diesen Pressedienst herausgeben, das habe er ja doch bei seinem zeitungswissenschaftlichen Studium gelernt! Hans sah sich in der Hauptstraße gehen, sah sich in den gläsernen Schleusen eines kühlen Bürohauses, sah sich im Aufzug, sah sich, nach allen Seiten grüßend, einen Gang entlanggehen, eine Tür öffnen, zwei Sekretärinnen stürzten auf ihn zu, eine nahm ihm die Tasche, die andere Hut und Mantel ab, tatsächlich, er trug einen Hut, einen weichen grauen Sommerhut, leichthin schlenderte er durch die offene Tür in sein Büro, setzte sich an den riesigen schwarzen Schreibtisch, der auf schlanken Beinen frei im Raum stand; zwei Telephone gleißten ihn an, da surrte auch schon eins, kein grelles Geklingel, sondern ein angenehmes Surren, das ihm ins Ohr streichelte, daß er fröhlich nach dem Hörer griff und die höfliche und respektvolle Anfrage des anderen mit ein paar klugen, ohne jedes Stocken vorgebrachten Sätzen freundlichst beantwortete. Er wurde gebraucht! Zum ersten Mal in seinem Leben wollte ihn jemand haben. Zum ersten Mal war es nicht er, der sich zögernd und vor Erregung unregelmäßig atmend einer böse geschlossenen Tür näherte, dreimal ansetzte bis er zu klopfen wagte, zum ersten Mal tat sich die furchtbare Geschlossenheit dieses Häusermeers auf, um ihn einzulassen, und ein Mann trat hervor und sagte: Sie werden erwartet. Er hätte Herrn Volkmann umarmen mögen! (Aber er dachte an seine Erfahrungen beim ersten Händedruck.) Er würde nicht länger an den Hauswänden entlangpendeln, nicht länger eine ziellose Bewegung sein. Und ob er annahm! Ja. Ja. Ja. Aber – und jetzt flutete die Welle zurück – war er denn fähig, ein solches Büro zu leiten? Die Last künftiger Verantwortung krümmte seine Schultern. Die Herren vom Industrieverband würden allzu genau nachrechnen, ob durch diesen Pressedienst die Umsätze tatsächlich so sehr steigen würden, wie sie das erwartet und wahrscheinlich auch sehr genau vorauskalkuliert hatten. Herr Volkmann sagte am Ende der Unterredung: »Wir sind auch bloß Menschen.« Dabei schmunzelte er. Und Anne sollte seine Mitarbeiterin werden. Sie wußte es schon. Sie hatte nichts verraten, weil sie nicht sicher war, ob er annehmen würde. Was diese reichen Leute sich alles vorstellen können! Die können sich sogar vorstellen, daß einer ein Angebot ablehnt. Ein Hans Beumann, der zeit seines Lebens zwischen Fakultäten herumirrte; der immer ein Zuschauer war; der jeden bewundern mußte, der eine Hantierung hatte, über die er sich beugen konnte; der jeden beneidete, der seiner Nützlichkeit so sicher war, daß man es ihm noch auf der Straße ansah. Und da fragte Anne noch, ob er es sich auch genau überlegt habe. Sein Geld reichte noch für acht Tage, und von seiner Mutter durfte er nichts mehr nehmen. Eine als Pressedienst
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