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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Cécile noch nicht völlig zugrunde gerichtet war, so lange eben, als er sich hier noch amüsieren konnte…
     Benrath schrie sich diese Prognose ins Gesicht, er bat sogar einen Augenblick um Hilfe von oben, ja, Gott sollte ihm helfen, einen Damm zu errichten gegen sich selbst. Und es war sehr lange her, seit Benrath zum letzten Male das Wort »Gott« auch nur gedacht hatte.
     Sonst hatte er immer, trotz aller Versprechen, die er unter Céciles Drängen abgab, mit einem durch nichts zu erschütternden Gleichmut eine äußerste Gewißheit aufrechterhalten, daß er nämlich gar keine Möglichkeit habe, sich zu entscheiden, daß sich in seiner Beziehung zu Cécile Schicksal zeige, so deutlich wie nie zuvor in seinem Leben. Und er war nicht gewohnt, dem, was er als Schicksal erkannte, zu widersprechen. Letzten Endes war er dann doch immer mit einer Handbewegung gegangen, die alles noch einmal aufschob, ins Ungewisse verlängerte. Ob sich jetzt endlich, endlich, endlich etwas ändern würde? Vorstellbar war es nicht. Er konnte es einfach nicht denken. So, wie er als Fünfzehnjähriger, wenn er zum Beichten gegangen war und einen festen Vorsatz fassen sollte, um die Absolution zu erlangen, so, wie er sich damals vergeblich bemüht hatte, sich in seinen Kopf hineinzuhämmern, daß er jetzt nie mehr lügen würde, nie mehr Unkeusches denken würde, nie mehr Unkeusches tun würde – er hatte diese bis zur völligen Erschöpfung seiner Willenskraft fortgesetzte Bemühung dann meist mit einer Betäubung seines Bewußtseins beendet, er hatte so getan, als würde er all das nicht mehr tun, aber er hatte doch gewußt, daß er wieder einmal, und sei es erst in zehn Jahren, lügen würde und Unkeusches denken würde –, so trieb er jetzt den Vorsatz, nicht mehr zu Cécile zu kommen, wie Nägel mit allen Hämmern seines Willens in sein Gehirn. Konnte man sagen, es sei ihm nie Ernst gewesen mit seinen Vorsätzen? Wenn der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert war, warum mied man sie dann nicht? Aber welche Möglichkeit der Besserung, der bloßen Gesundung gab es, wenn nicht den Vorsatz, mit dem Übel zu brechen? »Du mußt jetzt aber wirklich gehen«, sagte Cécile. »Sonst wird Birga mißtrauisch.«
     Immer war es Cécile, die dafür sorgte, daß Birga nichts merkte, immer stellte sie sich selbst zurück, erniedrigte sich, verzichtete, um Birga nicht zu beunruhigen, nicht zu kränken. Gerade das zog Benrath so zu Cécile hin, machte sie jedes Opfers wert. Jedes, bis auf das eine. Benrath ging mit unsicheren Schritten bis in die kleine Gasse, in der er sein Auto geparkt hatte. Am Anfang hatte er sein Auto immer sorglos vor dem Haus stehenlassen, in dem Cécile wohnte. Er konnte es sich im Augenblick nicht mehr gestatten, seinen Gedanken an Cécile nachzuhängen. Ringsum war Feindesland. Er mußte eine Erklärung bereit haben, falls er einem Bekannten begegnete, er mußte überlegen, was er Birga antworten würde, wenn sie inzwischen in der Praxis oder im Elisabethenhaus angerufen haben sollte, wenn ein Freund sich nach ihm erkundigt hatte, wenn morgen oder übermorgen jemand in Birgas Gegenwart fragen würde, was er um diese Tageszeit in diesem Stadtviertel getan habe, und so weiter. Benraths Hirn arbeitete mit der Präzision eines Chirurgenmessers. Er legte alle überhaupt möglichen Fragen vor sich hin und präparierte für jede Frage eine Antwort, versehen mit eventuell notwendigen Ergänzungsantworten; es konnte sich ja über eine Antwort eine ganze Diskussion entspinnen. Sein Hirn tat diese Arbeit ohne Anstrengung und ohne Freude. Es war diese Arbeit seit Jahr und Tag gewöhnt. Birga hatte natürlich gemerkt, daß sich in ihrer Ehe etwas verändert hatte, aber Alf hatte es immer verstanden, ihr dafür Gründe anzugeben, die nichts mit einer anderen Frau zu tun hatten. Er hatte auch alle Mittel unmerklicher Überredungskunst eingesetzt, um in Birga nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, als hänge die zunehmende Entfremdung zwischen ihnen mit Birgas Krankheit zusammen. Birga litt nämlich seit Jahren an einer Haarkrankheit; diese Krankheit war zwar nicht leicht zu heilen, aber sie war weder schmerzlich noch verunstaltete sie Birga so, daß es irgend jemand hätte bemerken können. Alles, was sie bisher an Verheerungen zustande gebracht hatte, waren zwei nicht einmal fünfmarkstückgroße haarfreie Stellen am Hinterkopf; und die Behandlung garantierte, daß dieser Ausfall kaum weiter um sich greifen würde. Und dann

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