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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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war ja Birgas Haar so dicht und stark, daß die zwei lichten Stellen kein Mensch je entdecken würde. Dennoch hatten sie sich angewöhnt, von »Birgas Krankheit« zu sprechen. Er hatte trotz seiner mit System betriebenen Beeinflussung nicht verhindern können, daß Birga sich krank fühlte, daß sie sich im Laufe der Zeit auch die Gewohnheiten einer Kranken aneignete, und er spürte, wenn er ins Zimmer trat, jenen unheimlich ruhig brennenden Beobachterblick, den der für immer Erkrankte auf den Gesunden heftet. Alf mußte sich eingestehen, daß dies nur zum geringsten Teil eine Folge der harmlosen Haarkrankheit war, wenn auch eine Haarkrankheit, und sei sie noch so ungefährlich, auf eine Frau besonders verheerend wirken mußte. Daß Birga sich aber ganz in ihre Krankheit zurückgezogen hatte, daß sie diese Krankheit nährte und sich gleichzeitig ganz von ihr verzehren ließ, das war Alfs Schuld. War es nur seine Schuld? War nicht Birgas Herkunft daran beteiligt? Jeder Tag, den sie in ihrem Elternhaus verbracht hatte, in jener orangefarbenen Villa, die umstanden war von schwarzgrünen Thujen und ebenso melancholischem Nadelgewächs. Ihr Vater an der Universität ein herrischer Professor der Medizin, zu Hause stets schwankend zwischen gereiztem Aufbegehren und fast weinerlicher Hilflosigkeit, hatte die Erziehung ganz der Mutter überlassen, einer Schwärmerin für religiöse Kunst, die die Villa gern zum Museum für Altarbilder gemacht hätte, die sich zeit ihres Lebens in übertrieben weite Gewänder gekleidet hatte und ihrer Tochter die Welt am liebsten für immer vorenthalten hätte. Ein Mann sollte kommen, der sollte Birga aus den hohen Zimmern der Villa direkt und ohne böse Zwischenstationen hinüberführen in ein ebenso ruhiges und von Traumbäumen beschütztes Haus. Benrath, der Assistent des Herrn Professors, war von der Frau Mutter für würdig befunden worden, weil er die Musik liebte, und sogar malte. Er selbst war in diesen frühen Jahren dem Reiz dieser hellen Villa zwischen den dunklen Bäumen verfallen, dem Ernst der hohen Räume, der düsterleuchtenden Pracht der Bilder und der Inbrunst, mit der die Frau Professor ihr Leben in der Verehrung dieser Kunstwerke aufgehen ließ, in tadellosem Einvernehmen mit ihrem Mann, der in seinen Forschungen lebte und sich nur dann und wann an die Welt seiner Frau und seiner Tochter erinnerte. Ja, und am meisten war der seinem Professor ergebene Assistent dem dunkeläugigen Wesen Birga verfallen, das, als er das erste Mal durch das schmiedeeiserne Tor getreten war, bewegungslos unter einem Bäum lehnte, herüberstarrte, sich rasch von der Rinde löste, mit der es erst wie verwachsen schien, und unter den tief herabhängenden Ästen einer Thuja verschwand. Nun war Birga über alle Erziehung hinaus ein scheues Wesen. Wahrscheinlich wären ihre Augen um nichts kleiner geworden, wenn sie nicht in der im toskanischen Stil erbauten Villa ihre Jugend verbracht hätte, ihre Bewegungen wären um nichts zielstrebiger, ihre Erwartungen keineswegs irdischer geworden, wenn sie in einem elefantengrauen Mietshaus aufgewachsen wäre. Ihr Wesen war so sehr aus absoluten Empfindungen gebildet, daß die Welt sie nicht ändern, sondern allenfalls verletzen konnte. Und das hatte sie denn auch hinreichend getan. Alf gestand sich ein, dabei der Welt eifrigster Handlanger geworden zu sein. Birga war von ihm abhängig geworden, wie ein Pflanze vom Licht abhängig ist. Mit der ruhigen Selbstverständlichkeit einer Pflanze hatte sie sich im neuen Erdreich, das er bereitet hatte, niedergelassen. Jede Art von Ausbildung war ihr verhaßt gewesen, jede Bindung an Gegenstände, an Menschen oder Vergnügungen war ihr fremd. Nachdem sie Alf hatte, wollte sie nur noch Kinder. Alles andere war ihr Ablenkung und Störung. Und wenn sie Alf anschaute, lag in ihrem Blick eine unmenschliche Bereitschaft, für ihn dazusein, aber eine ebenso ungeheure Bedürftigkeit, die nur von ihm zufriedengestellt werden wollte. Alf hatte erst lang nach seiner Heirat begriffen, wie ausschließlich Birga von ihm lebte. Und als er es begriffen hatte, wußte er auch, daß Birga durch ihn unglücklich werden mußte. Unglücklich in einem lebensgefährlichen Ausmaß. Er hatte seinen Beruf und seine Ablenkungen. Im Sommer segelte er, im Winter fuhr er Ski. Er brauchte den Stachel vielköpfiger Gesellschaft. Er brauchte Zuhörer. Ein einzelner vermochte nicht, ihn in Fluß zu bringen, vermochte nicht, ihn bis zur Erschöpfung,

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